Traumreisende
in der Küche Essen holen, wann immer er wollte, sich der lärmenden Menge anschließen oder sich in eine stille Ecke verziehen, um ein Schläfchen zu halten. Er hatte gelernt, in einer Menschenmenge vollkommen allein zu sein.
Er lernte aus Erfahrung, nicht aus Büchern. Eines Tages waren Boden und Luft so trocken, dass die dadurch erzeugte Energie den Himmel verdunkelte, und gleich würde ein ungeheueres Gewitter ausbrechen. Ständig zuckten Blitze durch die schwarzen Wolken. Als Geoff dastand und über ein Feld blickte, ging ein nur wenige Meter entfernter Baum plötzlich in Flammen auf. Die Tiere gerieten in Panik und rannten los, um Schutz zu suchen. Die Luft schien in eine Richtung gesaugt worden zu sein, um dann mit dem Zehnfachen ihrer ursprünglichen Kraft zurückgeschleudert zu werden. Auch Geoff rannte und versteckte sich unter einer Segeltuchplane, die vom Heck eines alten Wagens hing. Das Gewitter dauerte den ganzen Tag, aber es fiel kein Tropfen Regen. Endlich, als der Hunger stärker wurde als seine Angst, rannte er zur Küche. Kein Erwachsener erbot sich, den Kleinen zu trösten, niemand fragte, wo er gewesen sei, aber indem er den Gesprächen zuhörte, erfuhr er, dass das ein trockenes Unwetter gewesen sei. Von Tag zu Tag wurde er selbstgenügsamer.
Geoff liebte die Babylämmer und sah zu, wie sie geboren wurden. Er beobachtete, wie man jedes identifizierte und markierte. Sie blökten, wenn ihre winzigen Schwänze in einen Ring aus dünnem Metall geschlossen wurden, den man dann zuklammerte. Der Ring sollte sich nicht dehnen. Nach ein paar Tagen schwoll der kleine Schwanz an und sah entzündet aus, aber nach einer Weile begann er zu schrumpfen und fiel schließlich ab.
Im Alter von vier Jahren beteiligte er sich an einer der anderen blutigen Torturen - mit dem Ergebnis, dass er monatelang Alpträume hatte: Allen männlichen Lämmern, mit wenigen ausgewählten Ausnahmen, wurden die Hoden entfernt. Es gab Hunderte von Tieren, und für die Arbeit stand nur ein einziger Tag zur Verfügung. Die Arbeiter wandten eine Methode an, die auf Schafsfarmen die gebräuchlichste war: Sie packten jedes Tier, drehten es um und bissen ihm die Hoden ab. Geoffs Aufgabe bestand darin, sie einzusammeln, nachdem die Männer sie wieder ausgespuckt hatten, und in einen Eimer zu legen. Er litt allein, während er tat, was von ihm verlangt wurde. Er hatte niemanden, an den er sich wenden konnte, damit er ihm Antwort auf seine Fragen gäbe. Seine emotionalen Erfahrungen von Mitgefühl oder Entsetzen wurden niemals ausgesprochen oder geteilt.
Am Ende des Tages klebten seine Zehen vor lauter Schlamm und Blut zusammen. Der Arbeiter, der ihn noch am ehesten zu bemerken schien und ihm beistand, war ein Mann namens Roger. Rogg, wie seine Freunde ihn nannten, setzte den kleinen Geoff auf den Picknicktisch und stellte dessen Füße in einen Eimer mit Seifenwasser; er blieb dort über eine Stunde sitzen, bis Rogg sich wieder an ihn erinnerte, mit einem Handtuch kam, um ihn zu befreien, und ihm sagte, er könne gehen. Anscheinend war er zu klein, um sich zu duschen, aber keiner achtete darauf, wie das Kind sich das Blut vom Körper waschen sollte.
Die Schafe bekamen Zotteln, wenn die Exkremente an ihren Hinterteilen in der Wolle kleben blieben, und diese Zotteln zogen Schmeißfliegen an. Geoff wurde angewiesen mitzuhelfen; er musste die verfilzte Masse festhalten, wenn die Zotteln abgeschnitten wurden. Er musste beim Untertauchen der Schafe, das aus medizinischen Gründen vorgenommen wurde, Hand anlegen, und er musste mit den Hunden laufen, wenn die Herden von einer Weide auf die andere getrieben wurden. Was er schließlich am meisten hasste, war das Schlachten.
Für den kleinen Jungen war diese entlegene australische Farm ein Ort der Wunder und der Schönheit, aber auch ein Ort des Entsetzens, wo kopflose Hühner zu flüchten versuchten, während ihnen das Blut aus dem Hals sprudelte, bis sie endlich zuckend auf dem Boden lagen und starben. An diesem Ort sah er, wie Tiere erschossen, Kehlen aufgeschlitzt und Hoden abgebissen wurden. Dieselben Leute, die diese Taten begingen, winkten ihm, sich zu ihnen zu setzen, wenn jemand Banjo oder Harmonika spielte und alle in die Hände klatschten und Lieder sangen. Manchmal war das sehr verwirrend. Nichts wurde ihm jemals als gut oder schlecht, richtig oder falsch erklärt. Er wusste nur, was ihm Spaß machte und was er nicht mochte.
Als Beatrice kaum das Schulalter erreicht hatte, war ihr
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