Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Traumreisende

Traumreisende

Titel: Traumreisende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlo Morgan
Vom Netzwerk:
wurde Geoff in einem Hochstuhl gefüttert. Später lernte er, selbst zu essen, indem er auf einen Hocker in der Küche des Haupthauses kletterte und ein herausziehbares Backbrett als seinen eigenen kleinen Tisch benutzte. Er hörte, wie Abram und Noah Matty mit »Mum« und Howard mit »Dad« anredeten, aber ihm brachte man bei, die beiden Farmbesitzer so zu nennen wie alle anderen, nämlich »Ma'am« und »Sir«. Er hatte wenig direkten Kontakt mit den Familienmitgliedern. Gewöhnlich verscheuchten sie ihn wie ein lästiges Insekt. Es gab keine bestimmte Person, die ausdrücklich für ihn verantwortlich war. Da die weiblichen Arbeiter mit den Jahreszeiten kamen und gingen, wechselten die mütterlichen Betreuerinnen ständig. Geoff war immer allein, wenn man sich auch um sein leibliches Wohl kümmerte.
    Im Alter von drei Jahren begann er all seine Mahlzeiten mit den anderen Hilfskräften entweder in dem großen äußeren Schuppen oder im Freien unter den Bäumen an grobgezimmerten Picknicktischen einzunehmen. Er liebte es, den Geschichten darüber zu lauschen, was jeden Tag passiert war. Oft gab es Besucher, die zu einer Mahlzeit aus Lammragout, Bratkartoffeln, frischen Gemüsen, Brötchen mit Marmelade und Honig im Austausch für einen Tag Arbeit und einen Schlafplatz vorbeikamen. Fremde erzählten immer faszinierende Geschichten über ferne Gegenden und aufregende Ereignisse. Die meisten Reisenden waren Viehtreiber, Männer allein zu Pferd mit einem Schlafsack und einer Bratpfanne aus Blech, die hinter dem Sattel angebunden waren. Gelegentlich kamen auch Reisende in einem Automobil oder mit Pferd und Wagen, beladen mit angehängten Töpfen und Pfannen, die Krach machten wie ein ungeübter Schlagzeuger. Die Viehtreiber waren manchmal in Begleitung robuster Gefährtinnen, die aussahen, als könnten sie eine gründliche Wäsche und neue Schuhe gebrauchen. Wenn sie Kinder bei sich hatten, wirkten diese äußerst zurückhaltend und versteckten sich während des ganzen Besuchs.
    Einmal kamen zwei Kinder für einen Tag mit ihrem Vater zur Arbeit, aber Geoff konnte sie nicht zum Reden bringen. Selbst als der Mann beim Bier saß, Geschichten erzählte und versprach, sich nach Verwandten der Willett-Angestellten umzusehen, um eine Nachricht zu überbringen, standen die Kinder hinter einem Baum und wollten nicht hervorkommen. Sie nahmen nicht einmal Geoffs Angebot zur Kenntnis, ihnen ein paar prächtige, seltene schwarze Kaulquappen zu zeigen. Das war Geoffs erste Erinnerung daran, so traurige Augen gesehen und den lautlosen Jammer eines anderen menschlichen Wesens vernommen zu haben.
    Die Farm der Willetts war ein Ort ständiger Betriebsamkeit. Das Haus war drei Stockwerke hoch; im obersten Geschoss gab es sechs kleine Mansardenfenster, die einen riesigen, selten benutzten Ballsaal erhellten. Es war ein eindrucksvolles quadratisches Gebäude mit hohen schmalen Fenstern in den beiden unteren Etagen, jedes mit grünen Holzläden versehen, die man gegen die Sommerhitze und einen möglichen Platzregen in der nassen Jahreszeit schließen konnte. Auf der Vorderseite zog sich eine Veranda von einer Ecke zur anderen, und Stühle aus Europa bildeten zwei getrennte Sitzgruppen für Teepartys. Das Haus war auf allen vier Seiten von leuchtenden Farben umgeben. Rosen versahen es mit weißen, rosa und roten Tönen. Ringelblumen changierten zwischen heller Zitronenfarbe und blasserem Gelb. Die Zufahrt war ein Kiesweg zwischen fünfzehn Meter hohen Gummibäumen. Hinter dem Haus standen zwei mächtige Wassertanks, deren Wasser zum Trinken, Kochen und für die Wäsche der Familie Willett verwendet wurde. Regenwasser war zu knapp und kostbar für die Tiere oder zur Bewässerung der Felder, und so pumpten tiefe Brunnen eine Flüssigkeit hoch, die nach konzentriertem Schwefel stank. Dieses Wasser wurde für das Vieh und die Felder benutzt. Menschen konnten das Brunnenwasser nicht trinken, aber sie mussten Eier und Fleisch verzehren, die dessen Rückstände enthielten. Tatsächlich herrschte auf dem Anwesen ständig und je nach Jahreszeit ein mehr oder weniger fauliger Gestank.
    Das Haus hatte zwölf Zimmer, in denen Staub gewischt werden musste, fünf Schlafzimmer, die mit frischen Laken zu versehen waren, und immer mehr neue moderne Geräte wurden angeschafft, etwa die erste elektrisch betriebene Waschmaschine. Der Staub war ein Hauptfaktor, mit dem man zu kämpfen hatte. In der Trockenzeit war er so fein, dass er sich kaum entfernen ließ. Er

Weitere Kostenlose Bücher