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Traumreisende

Traumreisende

Titel: Traumreisende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlo Morgan
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sie der Öffentlichkeit zu präsentieren.
    Geoff war sieben, als er das Zeichnen für sich entdeckte. Er hatte vorher keine Gelegenheit gehabt, Bilder oder Schrift zu sehen. Er sah, dass die Köche sich hin und wieder an geschriebene Anweisungen hielten, wusste, dass der Fahrer, der die Vorräte holte, wöchentlich eine Einkaufsliste erhielt, und er hatte aus der Ferne beobachtet, wie die Willett-Söhne die Seiten von Büchern umblätterten. Er verstand nicht, was da vor sich ging, und es interessierte ihn auch nicht, bis er eine Zeitschrift entdeckte.
    Eines Tages folgte er einem jungen Hund, der in den Gemeinschaftsschlafsaal lief, in dem die Betten der Wanderarbeiterinnen standen. Als der Welpe unter einem Bett verschwand, kroch Geoff ihm nach. Da fiel ihm ein Stapel leuchtendbunter Illustrierter ins Auge, und er zog eine davon heraus. Als er die Seiten durchblätterte, war er zutiefst fasziniert von den Orten und Dingen, die auf den Bildern zu sehen waren. Eine Stunde später saß er noch immer da, als Irene, ein Hausmädchen, hereinkam. Sie sah das Kind und lud es ein, sich auf ihr Bett zu setzen, während sie ihm erklärte, was auf jedem der Fotos zu sehen war. Dann nahm sie einen Stift und Papier und schrieb in Druckbuchstaben das Alphabet nieder. Sie sagte zu Geoff, wenn er lesen lerne, könne er allein herausfinden, was die Bilder mit den jeweiligen Artikeln zu tun hätten. Der Junge fing an, die Buchstaben nachzumalen, wie Irene sie ihm gezeigt hatte, aber bald interessierte es ihn mehr, die Bilder der seltsamen Tiere nachzuzeichnen, die in den Zeitschriften dargestellt waren.
    Irene besorgte ihm mehr Papierbögen, und das Kind flüchtete sich in die Welt des Zeichnens. Später an diesem Tag ermutigte sie Geoff, sich auf der Farm umzusehen und die Geschöpfe zu zeichnen, die ihm am besten gefielen. Zwei Tage später fand Irene Geoff auf dem Rasen vor dem Haus und brachte ihm eine Handvoll zerbrochener Farbstifte. Er könne seine Zeichnungen auch bunt machen, erklärte sie ihm und zeigte ihm die Technik, wie man etwas leicht schattiert oder wie dunklere Farbtöne entstehen, indem man mit dem Stift etwas fester aufdrückte. Offenbar besaß der siebenjährige Aborigine eine natürliche Begabung. Ohne irgendwelche Anleitungen fertigte er Zeichnungen an, die zu rahmen sich gelohnt hätten. Er konnte ein Pferd auf der Koppel beobachten und es dann aus dem Gedächtnis bis auf die kleinsten Einzelheiten wiedergeben. Als Irene ihn darauf hinwies, dass das Pferd nicht allein sei, sondern dass es im Hintergrund Bäume oder auch ein Gebäude zu sehen gebe, nahm er ihre Anregung sofort auf.
    Automatisch schien er die Größenverhältnisse von Dingen zu begreifen, die man aus der Ferne sieht. Nach nur wenigen erfolglosen Versuchen wurden seine Bilder lebendig. Er brachte sich selbst bei, Schatten und Farbschattierungen zu malen, wie sie seiner persönlichen Einbildungskraft entsprachen. Irene erzählte ihm, dass sie gelesen habe, die Aborigines seien künstlerisch sehr begabt. Er wusste nicht, was sie mit Aborigines meinte, aber er lächelte und akzeptierte ihre Bemerkung, weil sie ihm anscheinend etwas Gutes damit sagen wollte. Hinten in der Zeitschrift las Irene eine Anzeige, in der es hieß:
    »Kopiere mich.« Es handelte sich um eine schlichte Strichzeichnung; alle Interessenten wurden aufgefordert, ihre künstlerischen Bemühungen zur kostenlosen Begutachtung an eine Fernschule zu schicken. Irene bat Geoff, die Strichzeichnung nachzumalen, ohne ihm den Grund dafür zu erklären, und schickte die Kopie zusammen mit sechs anderen Zeichnungen unter ihrem eigenen Namen an die Fernschule ab. Irene war selbst noch ein junges Mädchen, erst siebzehn Jahre alt. Sie war eines von zwölf Kindern, die zur Sippschaft der Foleys gehörten. Sie war an harte Arbeit gewöhnt, half, ihre Brüder und Schwestern großzuziehen, arbeitete im Haushalt und im Garten mit. Als die Willetts einmal erwähnten, sie brauchten ein Dienstmädchen und würden einen Lohn plus Kost und Logis zahlen, boten die Eltern Foley ihnen bereitwillig ihre Tochter an. Irene hatte nichts dagegen. Die Arbeit war leichter als zu Hause, aber sie vermisste ihre kleinen Geschwister. Sie hatte Geoff über das riesige Anwesen laufen sehen, aber bis auf gelegentliche Grüße im Vorbeigehen bis dahin nicht mit ihm gesprochen. Sie wusste genug über die Fähigkeiten von Kindern, um zu erkennen, dass er eine außergewöhnliche Begabung zum Zeichnen hatte.
    Die Antwort der

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