Traumreisende
Dunkelheit der Nacht, erwachte sie von einem warmen, beruhigenden Gefühl, das sich bald in etwas Kaltes, Nasses und Riechendes verwandelte. Sie hatte ins Bett genässt. Es erschien ihr wie eine Ewigkeit, dass sie so dalag, obwohl es schwierig war, still zu liegen, aber es schien ihr noch schlimmer, mit einer trockenen Stelle ihrer Haut die Nässe zu berühren. Kurz vor der Morgendämmerung wurden der Geruch und das Vergehen entdeckt. Die junge Schwester Margaret mit dem pickligen Gesicht schrie los, als sei ein Feuer ausgebrochen, und weckte alle auf, die im Raum schliefen. Sie schob Beatrice in die Mitte des Ganges zwischen zwei Reihen eiserner Etagenbetten und kreischte, so laut sie konnte: »Du kleine Teufelin, das hast du absichtlich getan! Du wirst es nicht schaffen, dass ich diese Schweinerei saubermache! Das wirst du noch bereuen! Glaub mir, es wird dir leid tun! Du bist vom Teufel erfüllt! Ein Teufelskind!«
Schwester Margaret zerrte sie an den Haaren durch die Tür zu Schwester Agathas Unterkunft und riss die Nonne aus dem Schlaf. Beatrice starrte die alte Frau mit den kurzen weißen Haaren an. Als sie erfuhr, weshalb es zu dem Aufruhr gekommen war, übertrug Schwester Agatha die Verantwortung für die Bestrafung auf Schwester Margaret. Dann legte die Mutter Oberin sich wieder schlafen. Während Beatrice wieder hinausgeschleift wurde, dachte sie einen Augenblick lang nicht mehr an die Strafe für ihr Verbrechen, sondern sagte sich: Wusst' ich's doch, dass sie Weiße Haare hat!
Draußen, im hinteren Teil des Grundstücks, gab es zwei Metalltüren, die zu zwei getrennten Erdlöchern führten. Die eine dieser Kammern maß etwa eineinhalb Quadratmeter, die andere einen. In weniger als fünf Minuten fand sich Beatrice - noch immer in der uringetränkten Unterwäsche - zusammen mit ihrem nassen Laken in dem kleineren der von Hand gegrabenen Kerker wieder. Sie hatte die Türen im Hügel schon mal gesehen und von anderen Mädchen gewusst, die verschwunden und manchmal sehr krank zurückgekommen waren und erzählt hatten, sie seien bestraft worden. Sie hatte aber nicht mitbekommen, dass jemals jemand in diese Gräber im Hügel eingesperrt worden wäre. Drinnen war es stockfinster, und es gab keine frische Luft. Wenn sie Wand oder Boden berührte, rieselte die Erde auf sie herunter; also saß sie - wie zu einem Ball zusammengerollt - reglos da und hatte Angst, begraben zu werden, wenn die Höhle zusammenbräche. Sie hielt den Atem an, als etwas über ihr Bein krabbelte, und betete, dass sie nicht von irgendeinem giftigen Geschöpf gebissen werden möge. Es dauerte nicht lange, bis sie in der abgestandenen, fauligen Luft Atemnot bekam, und sie suchte rings um die Tür nach einem Spalt, durch den frische Luft eindrang, aber es gab keinen. Im Laufe des Tages wurde das unmenschliche Loch zum Backofen, und von dem Gestank musste sie würgen und sich erbrechen. Es war so heiß, dass sie zusammenbrach.
Als sie nach stundenlangem Weinen und Hilferufen vor Erschöpfung bewusstlos geworden und dann wieder zu sich gekommen war, war ihr Gesicht voller Blasen, weil es gegen die brennendheiße Metalltür gepresst worden war. Beim Aufwachen fand sie sich auf einer Pritsche wieder, und ein Arzt war da, der ihr sagte, sie müsse an irgendeiner seltenen und wahrscheinlich ansteckenden Krankheit leiden; also würde man alle anderen für dreißig Tage von ihr fernhalten. Während des folgenden Monats durfte niemand sie berühren, ansehen oder auch nur mit ihr sprechen. Die Lektion, die sie aus dieser Kindheitserfahrung gelernt hatte, war, dass Gottes Rachedurst für die Sünde, zuviel Wasser verbraucht oder am falschen Ort uriniert zu haben, nur durch persönliche körperliche Folter gesühnt werden könnte. Der Mann im Himmel wurde der erste auf ihrer Liste dessen, was Unheil brachte.
Im Alter von sechs Jahren war sie auch aus dem Adoptionsregister gestrichen worden. In gewissen Abständen hatte man ihr ein hübsches Kleid zum Anziehen gegeben, ihre Füße vorübergehend in Schuhe gesteckt und ihr kurzes krauses Haar gebürstet und mit Schleifen versehen, um die Stellen zu verbergen, die sich nicht entfilzen ließen. Hand in Hand wurden die Mädchen anglikanischen Paaren vorgeführt, die sie sorgfältig musterten, als seien sie Ausstellungsstücke. Nachdem eine Frau sich über die entstellende Narbe geäußert hatte, die auf Beatrices verbranntem Gesicht zurückgeblieben war, wurde entschieden, dass es keinen Zweck mehr hätte,
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