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Traumsammler: Roman (German Edition)

Traumsammler: Roman (German Edition)

Titel: Traumsammler: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Khaled Hosseini
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hielt oft an, und wir plauderten und scherzten ein wenig. Oft fuhr ich Suleiman zum Shar-e-Nau-Park, und dort saßen wir dann im Schatten der Ulmen und beobachteten den Verkehr, die ungeduldig hupenden Taxifahrer, die klingelnden Fahrradfahrer, die schreienden Esel und Fußgänger, die mit fast selbstmörderischem Wagemut vor den Bussen über die Straße rannten. Wir waren bald ein vertrauter Anblick in den Straßen des Viertels, Suleiman und ich, und wir hielten immer wieder auf einen freundlichen Plausch mit Fleischern und Zeitschriftenverkäufern oder jungen Verkehrspolizisten. Wir unterhielten uns mit Taxifahrern, die, gegen einen Kotflügel gelehnt, auf Fahrgäste warteten.
    Manchmal setzte ich ihn hinten in den Chevrolet, verstaute den Rollstuhl im Kofferraum und fuhr mit dem alten Auto nach Paghman. Dort suchten wir uns eine hübsche, grüne Wiese und einen plätschernden, von Bäumen beschatteten Bach. Nach dem Essen versuchte er sich an Skizzen, was jedoch stets ein Kampf war, denn er war Rechtshänder, und seine Rechte war durch den Schlaganfall stark beeinträchtigt. Aber selbst mit der linken Hand konnte er Bäume, Hügel und Wildblumen besser auf Papier bringen, als ich es mit meiner funktionstüchtigen Rechten vermocht hätte. Irgendwann dämmerte er ein, und der Stift entglitt seinen Fingern. Dann breitete ich eine Decke über seinen Beinen aus und legte mich neben seinem Stuhl ins Gras, lauschte dem Wind in den Bäumen und betrachtete den Himmel, an dem Wolkenfetzen vorbeizogen.
    Früher oder später schweiften meine Gedanken zu Nila ab, die jetzt einen ganzen Kontinent von mir entfernt lebte. Ich stellte mir den samtigen Schimmer ihrer Haare vor, die Art, wie sie mit dem Fuß wippte und wie ihre Sandale gegen die Ferse klatschte, während sie an der Zigarette zog. Ich dachte an den Schwung ihres Nackens und die Rundung ihrer Brüste. Ich sehnte mich nach ihrer Nähe, hätte mich gern in ihrem Duft verloren, das vertraute Herzflattern bei ihrer Berührung meiner Hand gespürt. Sie hatte versprochen, mir zu schreiben, und obwohl sie mich nach all den Jahren ohne jeden Zweifel vergessen hatte, muss ich gestehen, dass mich jedes Mal, wenn wir Post bekamen, ein erwartungsvoller Rausch erfasste.
    Eines Tages – es war 1968, das Jahr, in dem Suleimans Mutter starb und Herr Bashiri und dessen Bruder ihre Söhne, Idris und Timur, bekamen, die ich oft in der Nachbarschaft sah – saß ich in Paghman im Gras und betrachtete grübelnd das Schachbrett. Wir hatten eine Partie angefangen, aber dann war Suleiman eingeschlafen, und ich zerbrach mir den Kopf über eine Antwort auf seinen aggressiven Eröffnungszug. Da fragte er unvermittelt: »Wie alt bist du jetzt eigentlich, Nabi?«
    »Auf jeden Fall über vierzig«, antwortete ich. »Ich weiß es nicht genau.«
    »Du solltest heiraten«, sagte er. »Bevor du ganz verblühst. Du ergraust schon.«
    Wir lächelten einander an, denn er wusste von mir, dass dies die Worte meiner Schwester Masooma waren.
    Würde ich mich, wollte er wissen, noch an den Tag im Jahr 1947 erinnern, als er mich eingestellt hatte?
    Natürlich erinnerte ich mich daran. Ich hatte damals ein paar Straßen weiter als Hilfskoch gearbeitet. Nachdem ich erfahren hatte, dass Herr Wahdati einen Koch suchte – der alte hatte geheiratet und war fortgezogen –, ging ich eines Nachmittags zu ihm und läutete am Tor.
    »Du warst ein unglaublich schlechter Koch«, sagte Suleiman. »Inzwischen zauberst du in der Küche, aber das erste Essen? Mein Gott. Und als du mich zum ersten Mal chauffiert hast, dachte ich, mich trifft der Schlag.« Er verstummte und lachte dann leise, überrascht von seinem unbeabsichtigten Scherz.
    Für mich war das vollkommen überraschend, Mr Markos, ja sogar schockierend, denn Suleiman hatte sich während all der Jahre kein einziges Mal beschwert – weder über meine Koch- noch über meine Fahrkünste. »Warum haben Sie mich dann bei sich behalten?«, fragte ich.
    Er sah mich an. »Weil ich, als du damals hereinspaziert bist, bei mir dachte, dass ich nie zuvor einen schöneren Mann gesehen habe.«
    Ich senkte den Blick auf das Schachbrett.
    »Ich wusste sofort, dass du anders warst als ich und dass mein Wunsch unerfüllbar war. Aber wir gingen zusammen spazieren und unternahmen Ausflüge, und auch wenn ich nicht behaupten will, dass mir das gereicht hätte, war es besser als nichts. Ich lernte, mich mit deiner Nähe zufriedenzugeben.« Er hielt kurz inne. »Und ich glaube, dass

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