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Traumsammler: Roman (German Edition)

Traumsammler: Roman (German Edition)

Titel: Traumsammler: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Khaled Hosseini
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du verstehst, was ich damit meine, Nabi. Jedenfalls zum Teil. Ich weiß, dass du es verstehst.«
    Ich traute mich nicht, ihm in die Augen zu schauen.
    »Ich möchte dir etwas gestehen, Nabi: Ich liebe dich seit sehr, sehr langer Zeit. Bitte sei mir nicht böse.«
    Ich schüttelte den Kopf. Wir schwiegen minutenlang. Was er da gesagt hatte, atmete noch zwischen uns – das Leid eines ungelebten Lebens, einer nicht erfüllten Sehnsucht nach Glück.
    »Ich habe es dir gestanden«, fuhr er fort, »damit du begreifst, warum ich will, dass du mein Haus verlässt. Such dir eine Frau. Gründe eine Familie wie andere Männer auch, Nabi. Du hast noch Zeit.«
    »Tja«, sagte ich schließlich, um die Spannung durch einen Witz zu entschärfen, »vielleicht tue ich das bald. Und dann werden Sie es bereuen. Genau wie der arme Kerl, der dann Ihre Windeln waschen muss.«
    »Du machst dich über alles lustig.«
    Ich beobachtete einen Käfer, der leichtfüßig über ein grau-grünes Blatt krabbelte.
    »Bleib nicht um meinetwillen. Darauf will ich hinaus, Nabi. Bleib nicht wegen mir.«
    »Sie nehmen sich zu wichtig.«
    »Du spottest schon wieder«, sagte er müde.
    Ich antwortete nicht, obwohl er sich irrte, denn ich hatte das nicht spöttisch gemeint. Ich blieb nicht wegen ihm. Anfangs war ich wegen ihm geblieben, ja. Ich war geblieben, weil er mich brauchte und in jeder Hinsicht auf mich angewiesen war. Ich hatte schon einmal jemanden verlassen, der mich gebraucht hätte, und die Schuldgefühle, die mich deshalb plagen, werden mich bis in Grab begleiten. Das wollte ich auf keinen Fall noch einmal erleben. Trotzdem veränderten sich die Beweggründe für mein Bleiben mit der Zeit. Ich weiß nicht genau, wann oder wie diese Veränderung eintrat, Mr Markos. Ich weiß nur, dass ich um meinetwillen blieb. Suleiman riet mir zu heiraten, aber ich hatte mir längst über mein Leben Gedanken gemacht, und Tatsache war, dass ich schon alles hatte, was Menschen in einer Ehe suchen. Ich fühlte mich geborgen, ich war nicht allein, und ich hatte ein Zuhause, in dem ich willkommen war, geliebt und gebraucht wurde. Meine körperlichen Bedürfnisse als Mann – die ich natürlich noch hatte, wenn auch weniger oft und nicht mehr so heftig wie in früheren Jahren – konnte ich wie schon beschrieben befriedigen. Und was Kinder betraf, so habe ich sie zwar immer gemocht, aber nie den Drang verspürt, selbst Vater zu werden.
    »Wenn du unbedingt ein Maultier bleiben und nicht heiraten willst«, sagte Suleiman, »dann habe ich eine Bitte. Aber du musst zustimmen, ohne sie gehört zu haben.«
    Ich erwiderte, das sei zu viel verlangt.
    »Ich verlange es trotzdem.«
    Ich sah zu ihm auf.
    »Du kannst noch ablehnen.«
    Er kannte mich gut. Er lächelte schief. Ich versprach es, und er brachte seine Bitte vor.
    * * *
    Muss ich Ihnen über die Ereignisse der folgenden Jahre berichten, Mr Markos? Sie sind bestens über die jüngere Geschichte dieses Landes im Bilde. Ich glaube nicht, dass ich Ihnen jene finstere Zeit noch einmal ins Gedächtnis rufen muss. Der bloße Gedanke, davon zu schreiben, bedrückt mich, und das Leid dieses Landes ist schon ausführlich und in allen Einzelheiten geschildert worden, und das von Menschen, die um ein Vielfaches gelehrter und wortgewandter sind als ich.
    Mit einem Wort: Es war Krieg. Oder besser gesagt: Kriege. Nicht nur einer, nicht nur zwei, sondern viele Kriege, kleine und große, gerechte und ungerechtfertigte kamen über unser Land. Kriege mit wechselnder Besetzung angeblicher Helden und Schurken, und mit jedem neuen Held wuchs die nostalgische Sehnsucht nach dem jeweils alten Schurken. Namen und Gesichter wechselten, aber ich verachte sie alle – wegen der Bombardements, der Landminen, der Heckenschützen, der lächerlichen Fehden, des Mordens, Vergewaltigens und Plünderns. Ach, genug davon – es ist widerwärtig, und eine Schilderung würde meine Fähigkeiten übersteigen. Ich habe all das miterleben müssen und will es auf diesen Seiten nur kurz streifen. Die damalige Zeit hatte nur ein Gutes, und zwar eine gewisse Rechtfertigung für das, was ich der kleinen Pari angetan hatte, die inzwischen eine junge Frau sein musste – dass sie so weit von all dem Morden entfernt lebte, beruhigte mein Gewissen.
    Wie Sie wissen, Mr Markos, waren die 80er Jahre in Kabul nicht ganz so schlimm, denn die Kämpfe fanden zu der Zeit vor allem auf dem Land statt. Trotzdem war es eine Zeit des Exodus, und viele Familien aus unserer

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