Traumsammler: Roman (German Edition)
dezent eine Broschüre mit der Aufschrift »Allgemeine Preisliste« vor. Idris schlug sie auf.
Der Leiter des Bestattungsinstituts räusperte sich. »Diese Preise sind natürlich hinfällig, falls Ihr Vater Mitglied der afghanischen Moschee drüben in The Mission war, mit der wir eine Abmachung haben. Die Kosten für Grabstelle und Trauerfeier wären dann gedeckt.«
»Wenn ich das wüsste«, sagte Idris. Sein Vater ist zwar religiös gewesen, aber nur im privaten Rahmen. Er hat fast nie am Freitagsgebet teilgenommen.
»Möchten Sie bei der Moschee anrufen?«
»Nein, nicht nötig«, sagte Timur. »Er war kein Mitglied.«
»Sind Sie sicher?«
»Ja. Ich erinnere mich an ein Gespräch.«
»Verstehe«, sagte der Leiter des Bestattungsinstituts.
Sie teilten sich draußen vor dem SUV eine Zigarette. Es hatte aufgehört zu regnen.
»Krass überteuert«, sagte Idris.
Timur spuckte in eine dunkle Pfütze. »Der Tod ist ein solides Geschäft. Der Bedarf lässt nie nach. Ist besser, als Autos zu verkaufen, Scheiße nochmal.«
Damals hatte Timur einen Gebrauchtwagenhandel. Die Geschäfte liefen schlecht, und fast wäre er pleitegegangen. Dann hatte er sich mit einem Freund zusammengetan, und es dauerte keine zwei Jahre, da schrieb der Laden auf einmal schwarze Zahlen. Idris’ Vater hatte seinen Neffen oft als Selfmade-Man bezeichnet. Idris beendete zu der Zeit gerade sein zweites Jahr in innerer Medizin an der UC Davis und verdiente nur einen Hungerlohn. Nahil, mit der er seit einem Jahr verheiratet war, studierte Jura und arbeitete nebenher dreißig Stunden pro Woche als Sekretärin in einer Anwaltskanzlei.
»Ich betrachte das als Darlehen«, sagte Idris. »Ich hoffe, das ist dir klar, Timur. Ich zahle es zurück.«
»Nur keinen Stress, Mann. Wie es für dich am besten ist.«
Timur half Idris nicht zum ersten Mal aus der Klemme. Er hatte ihm einen neuen Ford Explorer zur Hochzeit geschenkt. Er hatte den Darlehensvertrag für die kleine Wohnung mit unterschrieben, die Idris und Nahil in Davis gekauft hatten. Er war der Lieblingsonkel aller Kinder in der Familie, und das mit Abstand. Wenn es bei Idris brannte, wählte er fast immer Timurs Nummer.
Und doch.
Wie Idris feststellte, wusste die ganze Familie, dass Timur den Darlehensvertrag mit unterschrieben hatte. Timur hatte es ausgeplaudert. Und bei der Hochzeit hatte Timur den Sänger unterbrochen, um Idris und Nahil die Schlüssel des Explorers mit großem Tamtam auf einem Tablett zu überreichen, und das vor den Augen aller Hochzeitsgäste, die eifrig fotografiert hatten. Genau das passte Idris nicht – das Trara, die Angeberei, die dreiste Selbstdarstellung, die Großspurigkeit. Er bedauerte es, so über seinen Cousin zu denken, der ihm wie ein Bruder war, aber Timur schien jemand zu sein, der ständig in eigener Sache Werbung machte, und seine Großzügigkeit, argwöhnte Idris, war Berechnung und Teil seiner sorgsam zur Schau gestellten Persönlichkeit.
Idris und Nahil hatten eines Abends, während sie das Bett frisch bezogen, über Timur debattiert.
Jeder will gemocht werden , sagte sie. Du etwa nicht?
Ja, schon, aber ich erkaufe mir das nicht.
Sie antwortete, nach allem, was Timur für sie getan habe, sei er nicht nur ungerecht, sondern auch undankbar.
Du verstehst nicht, worauf ich hinauswill, Nahil. Ich sage doch nur, dass ich es nicht in Ordnung finde, wenn jemand mit seinen guten Taten hausieren geht. Wenn man helfen will, kann man das auch diskret im Hintergrund tun. Hilfsbereitschaft erschöpft sich nicht darin, in der Öffentlichkeit Schecks auszustellen.
Tja , sagte Nahil und zog das Bettlaken ab, das ist ein weites Feld, Liebling.
* * *
»Mann, ich erinnere mich an dieses Haus«, sagt Timur, während sie vorfahren. »Wie hieß gleich der Mann, der hier gewohnt hat?«
»Wahdati oder so ähnlich«, antwortet Idris. »Den Vornamen weiß ich nicht mehr.« Er denkt daran zurück, wie sie als Kinder unzählige Male auf der Straße vor dem Tor dieses Hauses gespielt haben, aber erst jetzt, Jahrzehnte später, betreten sie es zum ersten Mal.
»Die Wege des Herrn sind unergründlich«, murmelt Timur.
Es ist ein gewöhnliches, zweistöckiges Haus, das in Idris’ Wohnviertel in San José bestimmt den Zorn der Hauseigentümer-Vereinigung auf sich gezogen hätte. Nach Kabuler Maßstäben ist es jedoch ein prachtvoller Besitz mit breiter Einfahrt, Eisentoren und hohen Mauern. Während sie von einer bewaffneten Wache hineingeführt werden,
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