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Traumsammler: Roman (German Edition)

Traumsammler: Roman (German Edition)

Titel: Traumsammler: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Khaled Hosseini
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spürt Idris, dass dieses Haus – wie so vieles andere in Kabul – einen Hauch vergangener Pracht verströmt, obwohl es einem jahrelangen Verfall ausgesetzt war, dessen Anzeichen offensichtlich sind: Einschusslöcher und Risse in den rußigen Mauern; großflächig abgeplatzter Putz und bloßliegende Backsteine; an der Einfahrt vertrocknete Sträucher; im Garten kahle Bäume und gelber Rasen. Die Veranda zwischen Haus und Garten ist zur Hälfte zerstört. Idris kann jedoch – auch dies typisch für Kabul – Anzeichen für ein langsames, zögerndes Wiederaufblühen erkennen. So ist man dabei, das Haus neu zu streichen. Jemand hat im Garten Rosen gepflanzt und ein großes Loch in der östlichen Mauer repariert, wenn auch etwas ungeschickt. Eine Leiter lehnt an der zur Straße zeigenden Hausfassade, was darauf hindeutet, dass das Dach neu gedeckt werden soll. Und die Arbeiten zur Wiederherstellung der Veranda haben offenbar schon begonnen.
    Sie begrüßen Markos am Eingang. Er hat graues, schütteres Haar und blassblaue Augen und trägt graue afghanische Kleidung und ein schwarz-weiß kariertes keffiyeh , das er sich elegant um den Hals geschlungen hat. Er führt die beiden in einen lauten und verqualmten Raum.
    »Ich kann Ihnen Tee, Wein oder Bier anbieten. Oder möchten Sie etwas Hochprozentiges?«
    »Verraten Sie mir, wo es steht, und ich kümmere mich um alles Weitere«, antwortet Timur.
    »Ah, Sie gefallen mir. Dort, neben der Stereoanlage. Und keine Sorge wegen der Eiswürfel. Das Wasser kommt aus der Flasche.«
    »Danke.«
    Bei Festen dieser Art ist Timur ganz in seinem Element, und Idris bewundert ihn trotz allem für seine Lässigkeit, die mühelosen Bonmots, den genau dosierten Charme. Er folgt ihm zur Bar, wo Timur ihnen aus einer rubinroten Flasche einen Wodka einschenkt.
    Die gut zwanzig Gäste haben sich auf Sitzkissen niedergelassen. Auf dem Fußboden liegt ein weinroter afghanischer Teppich. Das Dekor ist zurückhaltend und geschmackvoll – Idris nennt diesen Stil inzwischen »Expat-Chic«. Leise Musik von Nina Simone, alle trinken, fast alle rauchen, man spricht über den Krieg im Irak und dessen Folgen für Afghanistan. Im Fernseher läuft stumm CNN International. Das nächtliche Bagdad, Ziel der Shock-and-Awe-Strategie, blitzt immer wieder grünlich auf.
    Markos tritt neben sie, begleitet von zwei ernsthaft dreinschauenden Deutschen, die für das Welternährungsprogramm arbeiten. Wie viele andere Helfer, denen Idris in Kabul begegnet ist, wirken sie einschüchternd und welterfahren und sind offenbar durch nichts zu beeindrucken.
    »Ein schönes Haus«, bemerkt Idris.
    »Sagen Sie das dem Besitzer.« Markos geht quer durch den Raum und kehrt mit einem hageren, alten Mann zurück, der sein dichtes schwarz-weiß gesprenkeltes Haar nach hinten gekämmt hat. Sein Bart ist kurz gestutzt, und seine Wangen sind so hohl, als hätte er fast keine Zähne mehr. Er trägt einen schäbigen, viel zu großen, olivgrünen Anzug, dessen Schnitt während der 50er Jahre in Mode war.
    »Das ist Nabi, mein Freund und Vermieter«, sagt Markos und lächelt den alten Mann mit unverhüllter Zuneigung an.
    »Nabi jan?«, ruft Timur ungläubig. Und da ist auch bei Idris die Erinnerung wieder da.
    Der Alte grinst schüchtern. »Bitte verzeihen Sie. Kennen wir uns?«
    »Ich bin Timur Bashiri«, antwortet Timur. »Unsere Familie hat auf der anderen Seite der Straße gewohnt!«
    »Gütiger Gott«, sagt der Alte. »Timur jan? Dann müssen Sie Idris jan sein?«
    Idris nickt lächelnd.
    Nabi umarmt sie beide. Er küsst sie auf die Wangen, grinst immer noch ungläubig. Idris fällt wieder ein, wie Nabi früher Herrn Wahdati im Rollstuhl spazieren fuhr. Manchmal hielt er an, stellte den Rollstuhl auf dem Bürgersteig ab, und Herr Wahdati und er sahen den beiden Jungs beim Spielen zu.
    »Nabi wohnt seit 1947 in diesem Haus«, sagt Markos, einen Arm um Nabis Schulter gelegt.
    »Dann sind Sie jetzt der Besitzer ?«, fragt Timur.
    Nabi muss lächeln, weil Timur so überrascht dreinschaut. »Ich war bei Herrn Wahdati von 1947 bis 2000 angestellt und habe mich um ihn gekümmert, bis er verstorben ist. Und ja, er hat mir das Haus vermacht.«
    »Er hat es Ihnen vermacht ?«, wiederholt Timur ungläubig.
    Nabi nickt.
    »Dann müssen Sie ein phantastischer Koch gewesen sein!«
    »Und Sie waren als Kind ein ganz schöner Rabauke, wenn ich mich nicht irre.«
    Timur lacht.
    Markos schwenkt den Wein im Glas und sagt zu Idris: »Nila Wahdati, die

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