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Traumschlange

Titel: Traumschlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vonda N. McIntyre
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trotz der Abneigung ihres Bruders, wenn es Schlange gelungen wäre, Jesses Leben zu erhalten; hier hätte man sie – vorausgesetzt, man war dazu imstande – trotz allem geheilt. Das Sprechen bereitete Schlange Mühe, als sie antwortete.
    »Dieser Rat... vielleicht sollte ich die Botschaft ihm überbringen.«
    Sie wollte lieber mit jemandem reden, den die Nachricht persönlich betraf, jemandem, der Jesse geliebt hatte; nicht mit diesem Bruder, der sich ins Fäustchen lachen und ihr für ihr Versagen seinen herzlichen Dank aussprechen würde.
    »Dies ist eine Familienangelegenheit, keine Sache des Rates. Du kannst Jesses Nachricht mir mitteilen.«
    »Ich zöge es vor, könnte ich von Angesicht zu Angesicht mit dir sprechen.«
    »Das glaube ich gern«, entgegnete er. »Aber das ist unmöglich. Meine Verwandten haben etwas dagegen, Fremde sich in der Stadt herumtreiben zu lassen.«
    »Aber in diesem Fall...«
    »Und außerdem könnte ich dich nicht einmal hereinlassen, wenn ich es wollte. Das Tor ist bis zum Frühling verschlossen.«
    »Das glaube ich nicht.«
    »Es ist wahr.«
    »Jesse hätte es mir gesagt.«
    Er schnob. »Sie hat es nie geglaubt. Sie war noch ein Kind, als sie sich absetzte, und Kinder glauben nichts so recht. Sie lassen es darauf ankommen, indem sie draußen bis zum letzten Moment spielen, daß sie ausgesperrt werden. Auf diese Weise verlieren wir manchmal junge Mitbürger, die unsere Verordnungen zu sehr auf die Probe stellen.«
    »Sie hat von allem, was man ihr hier sagte, so gut wie nichts geglaubt.«
    Zorn bereitete Schlange Beklemmungen.
    Jesses Bruder schaute seitwärts und betrachtete einen Moment lang irgend etwas sehr aufmerksam. Dann heftete er seinen Blick wieder auf Schlange.
    »Nun, ich hoffe, daß wenigstens du mir jetzt glaubst. Ein Sturm braut sich zusammen – deshalb ist es wohl besser, du verrätst mir nun ihre Mitteilung, damit du noch genug Zeit hast, um dir einen sicheren Unterschlupf zu suchen.«
    Selbst wenn er log, so hatte er nicht im mindesten die Absicht, sie einzulassen. Schlange gab ihre diesbezügliche Hoffnung auf.
    »Dies ist ihre Botschaft«, sagte Schlange. »Sie war glücklich dort draußen. Sie möchte, daß ihr damit aufhört, eure Kinder über die Welt außerhalb der Stadt zu belügen.«
    Jesses Bruder starrte Schlange an und wartete; dann lächelte er plötzlich und lachte abgehackt auf. »Das ist alles? Willst du damit andeuten, sie kommt gar nicht zurück?«
    »Sie kann nicht zurückkommen«, sagte Schlange. »Sie ist tot.«
    Eine seltsame, unheimliche Mischung von Erleichterung und Kummer zeichnete sich in dem Gesicht ab, das so stark Jesses Miene ähnelte.
    »Tot?« wiederholte er leise.
    »Ich konnte sie nicht retten. Sie brach sich das Rückgrat...«
    »Den Tod habe ich ihr nie gewünscht.« Er atmete ausgedehnt ein und ließ den Atem langsam entweichen. »Das Rückgrat gebrochen... also ein schneller Tod. Besser als manche andere Arten des Sterbens.«
    »Sie starb nicht am Bruch ihres Rückgrats. Ihre Gefährten und ich beabsichtigten sie heimzubefördern, weil wir hofften, man könne sie hier heilen.«
    »Vielleicht wäre es möglich gewesen«, sagte er. »Woran starb sie dann?«
    »Sie hatte in den Kratern geschürft, die der Krieg geschaffen hat. Sie glaubte nicht an die Tatsache, daß sie gefährlich sind, weil man ihr hier früher so viele Lügen erzählte. Sie starb den Strahlentod.« Er zuckte zusammen. »Ich war bei ihr«, fügte Schlange hinzu. »Ich tat, was ich konnte, aber ich habe keine Traumschlange. Ich vermochte ihr keine Sterbehilfe zu leisten.«
    Sein Blick schien Schlange zu durchdringen, ohne daß er sie sah.
    »Wir stehen in deiner Schuld, Heilerin«, sagte er. »Weil du eine Angehörige unserer Familie behandelt und uns die Kunde von ihrem Ableben gebracht hast.«
    Er sprach in gepreßtem, zerstreutem Tonfall, dann gab er sich plötzlich einen Ruck und musterte Schlange mit scharfem Blick.
    »Ich mag es nicht besonders, wenn meine Familie in jemandes Schuld steht. Unter dem Bildschirm befindet sich ein Schlitz zur Geldausgabe. Das Geld...«
    »Ich will kein Geld«, sagte Schlange.
    »Ich kann dich nicht hereinlassen«, rief er.
    »Damit finde ich mich ab.«
    »Was also willst du?« Flüchtig schüttelte er den Kopf. »Natürlich – Traum-schlangen. Warum willst du nicht glauben, daß wir keine haben? Ich kann die Schuld nicht mit Traumschlangen begleichen, und ich hege keine Bereitschaft, meine Verpflichtung dir gegenüber in eine

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