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Traumschlange

Titel: Traumschlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vonda N. McIntyre
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verstummte, verwirrt durch seinen urplötzlichen Stimmungswechsel.
    »Die Dankbarkeit der Heiler ist euch gewiß«, ergänzte sie hastig, sich dessen nicht bewußt, was für Ungehöriges sie geäußert haben mochte, und deshalb darüber im unklaren, wie sie es ausbügeln sollte. »Und ebenso aller Menschen, denen wir behilflich sein können.«
    »Klonen!« stieß Jesses Bruder hervor. »Wie kommst du darauf, wir würden euch beim Klonen unterstützen?«
    »Ich dachte, du und Jesse...« Sie unterbrach sich, weil ihr einfiel, daß sie ihn damit vielleicht noch mehr verärgerte. »Ich habe lediglich angenommen, daß ihr mit euren fortgeschrittenen...«
    »Du redest von genetischen Manipulationen!« Jesses Bruder wirkte bis zum Erbrechen angewidert. »Vom Mißbrauch unseres Wissens zur Erzeugung von Ungeheuern!«
    »Was?« meinte Schlange verwundert.
    »Genetische Manipulationen! Ihr Götter, wir haben hinreichenden Ärger mit Mutationen, ohne daß wir sie künstlich hervorrufen! Es ist dein Glück, Heilerin, daß ich dich nicht einlassen kann, denn ich hätte deine irrsinnigen Ideen melden müssen. Dann hättest du den Rest deines Lebens als Ausgestoßene mit den übrigen Abnormitäten verbringen dürfen.«
    Schlange starrte den Bildschirm an, während der junge Mann sich von einem rationalen Gesprächspartner zu einem Ankläger verwandelte. Wenn er nicht mit Jesse geklont worden war, dann mußte seine Familie in der Tat derartig unzüchtig sein, daß Deformationen sich ohne genetische Einflußnahme gar nicht vermeiden ließen. Doch er verriet ja zugleich, daß die Städter sich diese Möglichkeit selbst verwehrten.
    »Ich wünsche nicht, daß meine Familie bei einer Abnormität in der Schuld steht«, sagte er und tat, ohne sie anzusehen, irgend etwas mit seinen Händen. Unter dem Bildschirm klimperten Münzen in die Geldausgabe.
    »Nimm deinen Lohn und verschwinde!«
    »Draußen sterben Menschen, weil ihr Kenntnisse zurückhaltet!« schrie sie. »Ihr helft den Sklaventreibern, so daß sie mit euren Kristallringen Menschen versklaven, aber ihr weigert euch, verkrüppelten und entstellten Menschen zu helfen!«
    Wutentbrannt beugte sich Jesses Bruder vor. »Heilerin...«
    Er verstummte und stierte an Schlange vorbei. Seine Miene widerspiegelte unvermittelt Entsetzen.
    »Wie kannst du es wagen, hier mit einem Wechselbalg aufzukreuzen? Verbannt man draußen die Mutter mit den Sprößlingen? Und du willst mich über Menschlichkeit belehren!«
    »Wovon sprichst du eigentlich?«
    »Du willst die Regeneration erlernen und weißt nicht einmal, daß man Mutationen nicht beheben kann. Es kommt immer wieder das gleiche dabei heraus.« Bitter und hysterisch lachte er auf.
    »Verschwinde dorthin zurück, woher du gekommen bist, Heilerin. Zwischen uns erübrigt sich jedes weitere Wort.«
    Genau in dem Moment, als sein Abbild zu verblassen begann, klaubte Schlange die Münzen zusammen und warf sie dagegen. Sie prasselten gegen den Bildschirm, und eine geriet zwischen die Blende. Getriebe heulten, aber die Blende wollte sich nicht völlig schließen; Schlange empfand eine perverse Befriedigung.
    Schlange wandte dem Bildschirm und der Stadt den Rücken zu, um nach Melissa zu schauen, und da stand sie plötzlich Auge in Auge mit ihrer Tochter. Melissas Wangen waren naß von Tränen. Sie ergriff Schlanges Hand und zog sie mit eindringlicher Hast vom Tor weg.
    »Melissa, wir müssen uns irgendeine Deckung verschaffen...«
    Schlange versuchte in den Schutz der Toreinfassung zurückzuweichen. Obwohl es Morgen war, herrschte nun beinahe Finsternis. Die Wolken waren nicht länger grau, sondern schwarz, und Schlange erspähte zwei getrennte Luftwirbel.
    »Ich habe etwas gefunden.« Ihre Worte ließen sich nur schwer verstehen; Melissa weinte noch immer. »Ich... ich hoffte, sie würden dir auf machen, aber ich habe zugleich befürchtet, daß sie‘s nicht tun, deshalb habe ich mich umgesehen.«
    Schlange folgte ihr, durch den Sand, den der Wind emporblies, nahezu geblendet. Wind und Eichhörnchen kamen nur widerwillig mit, die Köpfe gesenkt, die Ohren angelegt. Melissa führte sie in eine tief gelegene Spalte in der steilen Felsenklippe der Bergflanke. Mit jedem Augenblick wehte der Wind stärker, er pfiff und jaulte, fegte ihnen Sand in die Gesichter.
    »Sie fürchten sich«, schrie Melissa in das Heulen des Sturms. »...Augen verbinden...!« Sie entblößte ihr Gesicht, blinzelte angestrengt und bedeckte mit ihrem Kopftuch Eichhörnchens

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