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Traumschlange

Titel: Traumschlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vonda N. McIntyre
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damit einschüchtern öder in ihr, um sie zu unterwerfen, ein Verlangen auslösen. Schlange war nahe genug und hob eine Hand, um das Tier mit einer Fingerkuppe zu streicheln.
    »Wo ist Melissa?«
    »Sie gehört zu mir«, sagte er. »Nicht in die Welt draußen. Sie gehört hierher.«
    Seine hellen Augen, deren Blick zur Seite glitt, verrieten deutlich, was in seinem Kopf vorging. Schlange schaute in die Richtung seines Blicks: Er galt dem großen Korb, der fast so lang war wie ihr Körper, und halb so hoch. Schlange trat hinzu und hob vorsichtig den Deckel an. Unwillkürlich wich sie um einen Schritt zurück und atmete wutentbrannt tief ein. Der Korb war fast randvoll mit Traumschlangen angefüllt. Zornig drehte sie sich nach North um.
    »Wie konntest du so etwas tun?«
    »Sie hat‘s nötig gehabt.«
    Schlange kehrte ihm achtlos wieder den Rücken zu und begann behutsam, Traumschlangen aus dem Korb zu heben. Es waren so viele Tiere, daß sie Melissa darunter nicht wahrnehmen konnte, nicht einmal als Umriß. Sie holte die Traum-schlangen paarweise aus dem Korb und ließ sie, sobald sie aus der Reichweite ihrer Tochter waren, auf den Grund plumpsen. Die erste Schlange glitt über ihren Fuß und wickelte sich um den Knöchel, wogegen das zweite Tier eilig zwischen die Bäume davonkroch.
    North richtete sich auf. »Was machst du da? Das darfst du nicht...« Er begann damit, die freigesetzten Schlangen wieder einfangen zu wollen, aber eine davon reckte sich empor, drohte ihn zu beißen, und er zuckte zurück. Schlange setzte zwei weitere Exemplare aus. North versuchte wieder ein Tier zu fangen, aber es schnappte nach ihm, und als er dem Biß auswich, stürzte er beinahe. North wandte sich von den Schlangen ab und Schlange zu, wollte sie mit seiner Größe einschüchtern, aber sie hielt ihm eine Traumschlange entgegen, und er verharrte.
    »Du fürchtest dich vor ihnen, stimmt‘s, North?«
    Sie trat um einen Schritt vor. Er gab sich Mühe, auf dem Fleck zu bleiben, aber als Schlange einen zweiten Schritt tat, wich er zurück.
    »Hältst du so wenig von deinen eigenen Ratschlägen?«
    Sie war wütender als je zuvor; der besonnenere Teil ihres Verstandes, gegenwärtig beiseite gedrängt, beobachtete mit Schrecken, wie sehr sie es genoß, ihm Furcht einzuflößen.
    »Geh weg...«
    Als sich Schlange dennoch weiter näherte, stolperte er rückwärts und stürzte nieder. Am Erdboden kroch er vor ihr davon, rappelte sich hoch, strauchelte erneut.
    Schlange war ihm so nahe, daß sie seinen Geruch wahrnahm, auf trockene Art modrig, völlig anders als der gewohnte menschliche Körpergeruch.
    Er stellte die Flucht ein und wandte sich ihr zu, keuchte wie ein in die Enge getriebenes Tier, als sie ihm die Traumschlange hinhielt, die Hände zu Fäusten geballt, als wolle er zuschlagen.
    »Nicht«, sagte er, »nein, nicht...«
    Schlange dachte an Melissa und gab keine Antwort. Wie gebannt haftete Norths Blick auf der Traumschlange.
    »Nicht...« Seine Stimme versagte. »Bitte...«
    »Winselst du nun um Mitleid?« rief Schlange vergnügt; sie beabsichtigte ihm nicht mehr Mitleid zu gewähren, als er ihrer Tochter zugestanden hatte. Plötzlich lockerten sich Norths Fäuste, und er beugte sich vor, streckte Schlange seine Hände entgegen, zeigte ihr die blauen Adern seiner Handgelenke.
    »Nein«, sagte er. »Ich möchte Frieden.« Er bebte sichtlich, während er den Biß der Traumschlange erwartete. Verblüfft nahm Schlange ihre Hände zurück. »Bitte!« kreischte North. »Ihr Götter, treibt kein böses Spiel mit mir!«
    Schlange betrachtete die Traumschlange, dann North. Ihre Freude über seine Niederlage verwandelte sich in Abscheu. War sie ihm so sehr ähnlich, daß auch sie nach Herrschaft über andere Menschen trachtete? Vielleicht hatte er mit seinen Vorwürfen recht gehabt. Ehre und Anerkennung bedeuteten ihr soviel wie ihm.Und ohne Zweifel hatte sie sich der Überheblichkeit schuldig gemacht, ihr war immer der Makel der Überheblichkeit zu eigen gewesen. Vielleicht bestand der Unterschied zwischen North und ihr nicht in der Art, sondern nur im Ausmaß. Dessen war sich Schlange nicht sicher, aber sie erkannte auf jeden Fall klar, daß jeder Unterschied, welcher Natur auch immer, noch an Bedeutung verlieren würde, wenn sie North nun, da er hilflos war, diese Schlange aufzwang. Sie trat zurück und ließ die Traumschlange fallen.
    »Bleib mir fern.« Auch ihre Stimme zitterte. »Ich nehme meine Tochter und trete den Heimweg

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