Traumtagebuecher
auch wider bessere Vernunft.
»Die Mädchen sind ihnen Scheißegal«, behauptete Jonah.
»Mir nicht!«
»Dann tu was dagegen.«
»Was denn?« Was sollte ich, oder besser, was konnte ich denn schon tun? Wut und Hilflosigkeit vermischten sich in meinem Inneren, während Jonah so drohend vor mir stand, dass allein diese Gebärde reichte, um meinen Geist zu lähmen. Zum ersten Mal seit meinem zehnten Geburtstag hatte ich wirklich Angst vor ihm.
»So verängstigt, so schwach … schon damals …« Er ging um mich herum und ich fühlte mich eingekreist, bedroht und gefangengenommen. Nur mühsam widerstand ich der Versuchung, mich mit ihm zu drehen und ihm im Auge zu behalten.
»Zerbrechlich und feige …« Er strich mit der Hand über meinen bloßen Nacken und die Berührung ließ die Hitze in meinem Inneren explodieren. Müdigkeit griff nach mir, lähmend, bleischwer.
Ich versuchte einen Schritt nach vorne zu machen, als ich begriff, dass er jetzt zu Ende bringen würde, was er damals angefangen hatte. Es ging nicht.
»Du willst mich töten?« Ich konnte es nicht fassen und die ungläubige Frage nicht verhindern. Der Schmerz in meinem Herzen war sogar größer als die Qual, die durch meine Adern brannte. Ausgerechnet in meinen Mörder hatte ich mich verliebt. Ausgerechnet wegen ihm all meine Ängste besiegt und versucht ihn zu retten.
Ungerührt der zum Himmel stinkenden Ironie, knickten meine Beine weg. Der schwache Versuch, mich aufzufangen, änderte meine Fallrichtung minimal. Leider direkt in das Wasserbassin. Es war kalt und ich ging unter wie ein Stein, es war wie der Fall durch eine eisige Ewigkeit. Erst in dem Moment begriff ich, dass ich mich wirklich geirrt hatte. Tödlich.
Jonah war tatsächlich der Böse.
Ich versuchte mich zu bewegen, gegen die Kälte und das Versinken anzukämpfen. Es ging nicht. Ich konnte mich nicht bewegen, nicht die Augen schließen und nur die Luftblasen um mich herum schienen lebendig zu sein. Gleich würde ich atmen müssen. Der Druck in meinem Inneren, in meinen Lungen war überwältigend. Glühend. Ich presste die Lippen fest zusammen und schickte ein Stoßgebet an alle Götter, die vielleicht zuhörten. Dass mir dabei die Tränen übers Gesicht liefen, spielte keine Rolle. Ich hatte verloren. Schon öffnete sich mein Mund.
Im nächsten Moment war ein schwarze Schatten da, vor mir, in mir. Warm und auf seltsame Weise lebendig. Er füllte meinen Mund, verdrängte das Wasser und seine Wärme setzte sich in mir fort, prickelte über meine Haut und verdrängte den glühenden Schmerz. Etwas legte sich auf meinen Mund. Lippen … und plötzlich konnte ich wieder atmen. Seine Luft. Die Finsternis schloss sich noch fester um mich, die Berührung fühlte sich an, wie Arme, doch ihre Augen sagten ihr etwas anderes. Es gab keine Haut, keinen Menschen, nichts Greifbares.
Und trotzdem war mir warm, und trotzdem starb ich nicht, sondern konnte atmen. Von seinen Lippen. Atemzug um Atemzug vertrieb die Lähmung aus meinem Körper, Kuss um Kuss begriff ich mehr, was gerade geschah. Doch erst als mich Jonah aus dem Wasser zog, löste sich das, was auch immer meinen Körper beeinflusst hatte. Ich atmete ein.
Verwirrt, nass und vor Kälte zitternd, lag ich auf dem Rücken, starrte die Decke an und lauschte den Geräuschen, die Jonah – der echte, menschliche Jonah – machte, während er aus dem Bassin kletterte. Ich wusste, ich sollte glücklich sein, oder zumindest erleichtert. Aber ich war wütend – und durcheinander.
Vorsichtig rollte ich mich auf die Seite und hievte mich auf alle Viere, um Jonah anzustarren. Er starrte zurück.
Du hast damals … Du hast …«
»Dich gerettet.«
Ich schlug ihn ohne Vorwarnung. Schließlich hatte er mich erst in diese Situation gebracht. Ich hatte Todesangst gehabt. Zweimal. Den zweiten Schlag fing Jonah ab und nutzte meinen eigenen Schwung, um mich zu sich zu ziehen und zu küssen.
Der Kuss war sogar noch besser als der unter Wasser, riss aber die Mauer um meine Erinnerungen vollständig ein. Jonah war der Schatten. Jonah war einer der Schatten. Ich befreite mich aus seiner Umarmung und starrte den großen, unterirdischen Komplex an. Und das hier hatte ich tatsächlich schon einmal gesehen.
»Ja, du hättest damals jederzeit fliehen können. Aber du wolltest ja nur deine Wirklichkeit akzeptieren …«, bestätigte mein Gegenüber, »… nur deinen Augen trauen – und der Realität der gewöhnlichen Menschen.«
»Du gottverdammter
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