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Traumtagebuecher

Traumtagebuecher

Titel: Traumtagebuecher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Sarafin
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es klingelte noch in meinen Ohren, als Daria förmlich ans andere Ende der Leitung sprang.
    »Ja?«
    »Ich bin`s.«
    »Weinst du?«
    »Noch nicht.« Aber viel fehlte auch nicht mehr. Michaels Stimme, Daria … sie beschworen Erinnerungen hervor. Saint Blocks war streng gewesen. Autoritär und wirklich schrecklich. Und trotzdem wollte ich genau in diesem Moment mit einer Leidenschaft zurück, die mich selbst überraschte.
    »Was ist los?«
    »Ich … vermisse euch.«
    »Das ist ganz normal. Ich bin ja auch eine Tolle.« Darias Lachen wirkte auch auf lange Entfernungen und nahm einen großen Teil der Melancholie von mir. »Ne … ernsthaft. Du bist es einfach nicht mehr gewohnt, Gefühle zuzulassen. Das gibt sich schon wieder.«
    Natürlich hatte sie Recht. Daria hatte eigentlich immer Recht. Zumindest, wenn sie gerade nicht absichtlich etwas Unrechtes tat. Ich atmete tief durch, sah auf die Stoppuhr und konzentrierte mich auf unsere Codes.
    »Wie ist die Luft?«
    »Rein.«
    »Prima!« Ich konnte also frei sprechen, ohne dass jemand zuhörte. »Ich brauche eine Information aus meinen alten Tagebüchern und sie sind nicht mit zum Psychologen geschickt worden. Was über meine damalige Schule und die merkwürdigen Vorfälle dort. Muss um den 12. Juni rum gewesen sein, schlafende Mädchen, hysterische Epidemie oder seltsame Krankheitsfälle.«
    »`Ne persönliche Information?« Okay … Allerdings konnte Daria nicht frei sprechen.
    »Bist du irre? Du sollst nicht ausbrechen.«
    »Klingt aber so, als müsste ich.«
    »Nein! Ich komme klar, aber ich brauche die Information.«
    »Okay.«
    »Schickst du sie mir, wenn du sie findest?«
    »Ha!«
    »Nein, du sollst nicht ausbrechen. Schmuggel die Bücher oder die Info in die normale Post.«
    »Okay.«
    »Danke, hab dich lieb!«
    Zwei Sekunden, bevor Michael uns unterbrochen hätte, legte ich auf, und zum ersten Mal seit langem hatte ich ein uneingeschränkt gutes Gefühl. Wenn es wirklich irgendetwas mit dieser verdammten Uhr auf sich hatte, würde ich es herausfinden. Zusammen mit Daria. Gott, wie sehr ich sie vermisse!
    Wieder starrte ich auf die Uhr in meiner Hand. Und stutzte. Wann hatte ich denn die Stoppuhr gegen die Taschenuhr getauscht? Der Wärme des Metalls nach zu urteilen, schon vor einer ganzen Weile. Ich runzelte die Stirn. Konnte ich mich gar nicht dran erinnern. Vielleicht sollte ich sie wirklich rasch entsorgen. Natürlich nicht, weil ich an einen Fluch glaubte, sondern nur um auf Nummer sicher zu gehen. Nummer sicher klang gut.

    Das seltsame Hochgefühl, welches mich durch das Gespräch mit Daria befallen hatte, und ein mindestens ebenso seltsames Angstgefühl stritten in meinem Inneren immer noch um die Vormachtstellung. Selbst als ich den Weg einschlug, den ich seit meinem zehnten Geburtstag gemieden hatte wie die Pest. Normalerweise hätte ich mit Panik gerechnet. Oder mit Erinnerungsfetzen. Aber in meinen Gedanken und Gefühlen war einfach kein Platz mehr. Ich war bis zum Rand gefüllt und stand kurz vor dem Bersten.
    Als ich auf den Waldweg abbog, achtete ich darauf, dass mich niemand sah. Kein zufällig vorbeifahrender David, kein lauernder Jonah. Nur Tiger, der mich das erste Stück verfolgte und dann in Richtung des kleinen Baches abbog. Zwei Schritte später hatte ich den Schutz der Bäume erreicht und beschleunigte mein Tempo zu einem langsamen Trab. Zu meiner Überraschung hatte sich in all der Zeit nicht viel verändert. Der Bach verschwand immer noch an derselben Stelle in einer gesicherten Röhre in den Untergrund. Einige kleinere Schleichwege waren verschwunden, dafür führten andere Trampelpfade durch das Unterholz, aber im Großen und Ganzen war es immer noch dasselbe, wie in den zwei Jahren meiner Kindheit bei meiner Tante und ihrer angeheirateten Familie. Die Erleichterung in meinem Inneren spülte endlich das Hochgefühl und die unterschwellige Angst von mir. Niemand würde erwarten, dass ich die Uhr ausgerechnet hier versteckte.
    Einen halben Kilometer später war ich mir nicht mehr so sicher, ob die Idee wirklich gut gewesen war.
    Immerhin war ich die Treppen hinabgekommen und bis beinahe zur Tür. Sie war unverschlossen und hatte den Blick in eine wirklich dunkle Dunkelheit freigegeben. Jetzt stand ich wie gebannt auf der letzten Stufe und traute mich weder vor noch zurück, noch meine Augen zu schließen. Die Geräusche des Waldes waren in den Hintergrund getreten, verdrängt von einer ohrenbetäubenden Stille, die sich aus der

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