Traumtagebuecher
sortiert.
Maunzend sprang Davids grauer Kater auf meinen Fenstersims und sah nach draußen. Ich warf ein Buch nach ihm. Sein fauchender Abgang – mit einem wütenden Satz unter mein Bett hindurch – lenkte meine Aufmerksamkeit in diese Richtung. Tatsächlich. Die Beine des Ungetüms mussten vor kurzem verschoben worden sein, die Abdrücke im Teppich waren anders. Marginal, aber anders. Wer war in meinem Raum gewesen? Mehr verwirrt als wütend stand ich wie angewurzelt in meinem Zimmer und konnte körperlich spüren, wie sich die Aura meiner Umgebung veränderte, bis ein beinahe feindseliger Hauch in der Luft lag. Jemand war hier gewesen und hatte mein Sachen, mein Eigentum, durchsucht und war dabei tiefer in meine Privatsphäre eingedrungen, als je jemand zuvor. Ich hob mein Traumtagebuch vom Nachttisch. Es sah noch genauso aus wie vorher. Die ersten Seiten mit zwei Träumen gefüllt, Verbrennen und Ertrinken, und auch die Fotos von der Hochzeit und dem Umzug befanden sich noch an seinem Platz. Trotzdem konnte ich mir nicht sicher sein, ob jemand die Worte gelesen hatte. Keiner meiner Gedanken würde auf diesem Papier je sicher sein. Sich nie wieder gut anfühlen.
Wieder sah ich mich um, und der Drang zu weinen wurde beinahe übermächtig. Wenn ich hier nicht sicher war, meine Gedanken nicht sicher waren, wo dann? Obwohl ich spürte, dass meine Hände zu zittern begannen, konnte ich nichts dagegen tun. Mir war kalt. Eiskalt. Meg hatte angedeutet, dass Klaus ab und zu mein Zimmer kontrollierte. Aber das hier war weit über eine Kontrolle hinausgegangen.
Oder war es Jonah gewesen? Er hatte heute Vormittag genug Zeit gehabt und war definitiv nicht in der Schule gewesen.
Ich entschied mich dafür, dass es seine Retourkutsche für Davids und meine Suche nach ihm gewesen sein musste. Denn wem könnte ich noch trauen, wenn ich nicht einmal meiner eigenen Familie? Ich schüttelte den Kopf und ballte meine Hände zu Fäusten, bis sie schmerzten. Doch ein klitzekleiner Verdacht blieb weiterhin wie ein nagender Druck in meinem Inneren bestehen. – Paranoia`R`Us. – Er verhinderte, dass ich die Uhr in meinem Zimmer versteckte. Nicht, wenn Klaus dort stichprobenartige Kontrollen durchführte. Schließlich ging er davon aus, dass ich das Geschenk meines Großvaters entsorgt hatte. Der Garten schied aus denselben Gründen aus. Ebay wäre eine gute Lösung. Wenn sie wirklich so viel wert war, konnte ich sie verticken und mir ein bisschen was dazuverdienen. Sollte sich doch jemand anderes mit der Uhr und dem potentiell möglichen Fluch rumärgern. Obwohl diese Vorstellung moralisch vollkommen inkorrekt war, gefiel sie mir. Schließlich konnte mich niemand dazu zwingen, die Welt zu retten.
Natürlich würde ich es nicht tun. Aber träumen durfte man doch schließlich, oder? Außerdem … es zählte ja erst einmal zu prüfen, ob die Welt überhaupt in Gefahr war.
Obwohl inzwischen alles in mir danach schrie, die Uhr jetzt sofort und auf der Stelle loszuwerden, beherrschte ich mich. Schließlich hatte ich mich nicht so sehr beeilt, um das knappe Zeitfenster zu verpassen. Stumm zählte ich die Sekunden und griff schließlich zum Telefon. Die Nummer kannte ich auswendig, obwohl ich sie bisher noch nie gewählt hatte und in sechs Jahren nicht einen einzigen Anruf über diesen Apparat erhalten hatte.
Anscheinend war ich nicht die einzige, denn für die wöchentlich mögliche Anrufzeit von einer Stunde über einen einzigen Anschluss kam ich verdächtig gut durch. Wieder würden 61 von 62 Schülern in Saint Block ohne Anruf die Woche bestreiten müssen. Vergeblich eine Stunde in der Turnhalle gewartet.
»Ja!« Die unfreundlichste Stimme der Welt hallte durch die Telefonmuschel.
»Michael, schön Sie einmal wieder zu hören. Liz de Temples, wie geht es Ihnen?« Tatsächlich musste ich die Tränen zurückhalten. Bei aller Unfreundlichkeit, war Michael doch jemand auf den man sich verlassen konnte. Er hasste alle und jeden und brauchte dafür nicht einmal einen Grund. Dass war doch mal etwas, worauf man sich verlassen konnte.
»Hei, die kleine Liz. Wieder was angestellt?«
»Nein, ich glaube nicht. Aber ich wollte Daria zu was anstiften.« Zum Glück nahm Michael auch nichts und niemanden ernst. Aber immerhin konnte er hinterher nicht sagen, er hätte von nichts etwas gewusst. »Ist sie da?«
»Wo sonst?«
Bevor ich mehr sagen konnte, hatte Michael schon nach Daria gebrüllt. Sein Ruf zog mein Trommelfell in Mitleidenschaft, und
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