Traumtrunken
ihn das erste Mal gehört hatte.
Ihre Mutter hatte Oma Elvi damals schon Vorwürfe gemacht, als sie erfuhr, wie der Teddybär hieß. Doch Michaela war nur ein einziges Mal mit am Grab ihres Bruders gewesen. Und damals hatte sie noch nicht einmal lesen können. Die Großmutter hatte geweint und Michaela hatte sich gefragt, wie man beim Anblick solch schöner Blumen weinen konnte.
Da liegt dein Bruder, hatte sie gesagt und ihr über den Kopf gestreichelt.
Michaela hatte nichts anzufangen gewusst mit der Traurigkeit der Großmutter und mit dem Bruder, der dort unter der Erde liegen sollte. Dass er Benedikt hieß, hatte ihr erst Onkel Hannes erzählt, um die Tat ihrer Mutter etwas zu rechtfertigen, wenigstens aber erklären zu können.
***
Das erste Lächeln schenkte das Baby Rico.
Es war der zweite Freitag im Dezember. Michaela hatte früher Schluss gemacht und Benni von der Tagesmutter abgeholt. Rico ging seit der zweiten Schulwoche in den Hort, der im Gebäude seines Kindergartens untergebracht war.
Als sie an diesem Tag vor dem Eingang auf Rico wartete, war es frostig kalt. Benni hatte schon auf dem Hinweg gequengelt und nur beim Einkaufen im Markt Ruhe gegeben. Kaum war Michaela wieder draußen, schlug ihr der bissige Wind ins Gesicht und Michaela zog das Verdeck des Kinderwagens tiefer nach unten, damit er das Baby nicht erreichen konnte.
Doch Benni weinte weiter. Solange, bis Rico aus dem Gebäude kam, das Verdeck anhob und in den Wagen sah.
„Na, kleiner Bruder, was denn los?“, fragte er fürsorglich. Dabei tippte er Benni mit seinem Zeigefinger auf die Nase und ließ den Finger für einen Moment dort liegen.
Das Baby lachte. Michaela konnte es kaum glauben, das Baby lächelte Rico tatsächlich an.
Es war ein schöner Moment.
Doch nur ein kurzer, dann verzog Benni erneut den Mund und Michaela beeilte sich, ins Warme zu kommen.
***
Der Dezember blieb starrsinnig und Michaela wusste nicht, wie sie mit den ungleichen Interessen der Jungs umgehen sollte. Rico wollte mit ihr zum Schlittenfahren und Michaela wäre gern mit ihm gegangen, aber für das Baby war es draußen zu kalt.
Michaela bat Rico, allein zu gehen, doch das wollte er nicht. Ohne Michaela hatte er Angst, dass er sich mit dem Holzschlitten wehtun würde.
Es blieb Michaela nichts anderes übrig, als zu warten, bis Benni eingeschlafen war und ihn dann allein zu Hause zu lassen.
Die Kinder am Schlittenberg waren allesamt älter geworden, doch auch in ihren Schneeanzügen, manche mit Schals vor den Mund gebunden, erkannte Michaela sie wieder.
Lukas und Maria und die kleine Leonie, die vor zwei Jahren noch im Wagen gelegen und letztes Jahr laufen gelernt hatte. Jetzt versuchte sie allein, einen Plastikschlitten den Berg hinaufzuziehen und schrie, wenn sie mit ihren Stiefelchen im Schnee keinen Halt fand und immer wieder wegrutschte.
Ihre Mutter kam, um ihr zu helfen, doch auch das war der Kleinen nicht recht.
Als Michaela mit Rico oben am Hügel angekommen war, lächelten ihr die Kinder zurückhaltend zu.
Sie gingen in Startposition und Michaela wartete, bis die Kinder mit ihren Schlitten hinuntergefahren waren.
Doch schließlich dauerte ihr das zu lang. Sie musste wieder nach Hause! Michaela drängelte sich also an den Schlittenkindern vorbei und fuhr ein Stück weiter links, wo der Berg für die Kleinen zu steil war.
Es kribbelte in ihrem Bauch. Sie erwischte eine Schanze, hob ein Stück vom Schlitten ab und landete unsanft auf ihrem Po.
Auch Rico hatte sich erschrocken. Ihm war kalt und er hatte genug vom Schlittenfahren.
Als sie an den Müttern vorbeikamen, die unten am Berg standen, sahen diese Michaela abwertend an.
Sie wich ihren Blicken aus und schämte sich. Schämte sich, weil sie sich von denen so erniedrigen ließ.
Sie war doch nicht ewig dafür verantwortlich, sich um die Kinder von anderen Leuten zu kümmern!
***
Als sie am Donnerstag vom Schlittenberg zurückkamen, hörten sie Benni schon im Treppenhaus.
Mit zittrigen Händen versuchte Michaela, den Schlüssel ins Schloss einzuführen, öffnete, ließ den Schlüssel stecken und rannte ins Schlafzimmer.
Bennis Köpfchen war hochrot. Er hatte sich freigestrampelt und verschluckte sich immer wieder an seiner eigenen Spucke, was sein Schreien zum Rasseln brachte.
Michaela nahm ihn hoch.
Er war nass. Die Windel ausgelaufen, hatte sie seinen Strampler durchweicht und das Laken befleckt.
Sie drückte ihn an sich.
Es dauerte ein paar Minuten, bis er
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