Traumzeit
Kleid trug – eine enganliegende Tweedjacke mit knöchellangem Rock. Eine Hose wäre praktischer gewesen, aber wenigstens schleppte der Rocksaum nicht über den Boden.
Colin hörte ein Geräusch, blieb sofort stehen und sah sich prüfend um. Judd, der nicht aufpaßte, stieß gegen seinen Vater und erhielt einen tadelnden Blick. Die drei lauschten mit angehaltenem Atem.
»Dort drüben!« flüsterte Pauline. Sie hob den Bogen und zielte.
Das blaugraue Muttertier hob den Kopf und blickte auf die Menschen. In der Nähe saß das
Joey
und fraß saftig grünes Gras.
Colin legte an, aber Paulines Pfeil schwirrte bereits durch die Luft.
Das Känguruh schlug mit einem seiner großen Hinterläufe auf den Boden. Das
Joey
hörte das Warnsignal und sah, wie seine Mutter in die Luft sprang und der Pfeil sich in ihre Flanke bohrte. Sie stürzte zuckend zu Boden. Dann richtete sie sich auf und sprang mit blutender Hüfte davon.
Ehe Pauline einen zweiten Pfeil auf die Sehne legen konnte, schoß Colin, und das Känguruh fiel mit einem dumpfen Schlag auf die Erde.
Das
Joey
sprang in Panik zu seiner Mutter. Dann drehte es sich auf seinem Schwanz um und hüpfte in die andere Richtung.
»Schieß, Judd!« rief Colin. »Das ist ein gutes Ziel. Jetzt hast du deine Chance!«
Judd erstarrte. Er zitterte so heftig, daß er das Gewehr nicht ruhig halten konnte.
»Jetzt!«
Judd versuchte krampfhaft, mit dem Lauf dem ängstlichen
Joey
zu folgen. Ihm wurde übel. Er fing an zu weinen.
»Verdammt noch mal«, schrie sein Vater,
»schieß!«
Judd zog am Abzug und fiel auf den Rücken.
»Du hast getroffen!« rief Colin und lief zu den toten Känguruhs. »Es ist das Känguruh, das wir im letzten Frühling erlegen wollten, Judd! Ich habe dir damals schon gesagt, daß es ein Junges im Beutel trug.« Er stellte den Stiefel auf das Känguruh und zog Paulines Pfeil mit einem Ruck aus der Flanke. Er warf ihn ihr zu und rief triumphierend: »Ich glaube, Sie haben den Wettkampf verloren, Miss Downs!«
Aber Pauline kümmerte sich nicht um ihn, sondern half Judd beim Aufstehen. »Schon gut«, sagte sie leise und liebevoll, »es ist alles in Ordnung.«
Aber der Junge weinte hemmungslos. »Das arme kleine
Joey
!« stieß er schluchzend hervor. »Das arme kleine
Joey
!«
Colin sagte ärgerlich: »Komm her, Judd!«
Der Junge rührte sich nicht. Er bebte am ganzen Körper.
Die Diener hatten die Schüsse gehört und eilten herbei. »Ein guter Schuß, Sir!« sagte einer. Er zog ein Messer aus dem Gürtel, kniete nieder und begann, die Schwänze der Känguruhs abzutrennen.
»Judd«, wiederholte Colin mit Nachdruck, »komm her und hol dir deine Trophäe ab.«
Aber der Junge kämpfte mit seinen Tränen und schluchzte immer heftiger. »Geh schon, Judd«, sagte Pauline und stieß ihn sanft an. »Tu, was dein Vater sagt.«
Schließlich ging Judd hölzern und mit vor Entsetzen weit aufgerissenen Augen zu seinem Vater. Als er die blutigen Schwänze neben den leblosen Körpern sah, drehte er sich um und übergab sich.
»Komm hierher, mein Sohn!« befahl Colin und griff nach dem Schwanz des
Joey.
»Das ist dein erster Treffer. Du kannst stolz darauf sein.«
Als er Judd beim Arm nahm, rief Pauline: »Warten Sie, Colin«, denn sie wußte, was er tun wollte.
Aber es war zu spät. Colin strich den blutigen Schwanz über Judds Gesicht und Haare.
Das Kind schrie.
»Was soll das?« schimpfte Colin und versuchte, den um sich schlagenden Judd festzuhalten.
»Er hat Angst«, sagte Pauline, »lassen Sie ihn los.«
»Angst! Unsinn, Miss Downs, ich habe die Bluttaufe mit sieben bekommen und hatte keine Angst.«
»Er versteht das nicht! Er weiß nicht, was Sie tun.«
Während die Diener sich besorgte Blicke zuwarfen – wenn ihr Herr schlechte Laune hatte, dann mußten sie alle darunter leiden –, beobachtete Ezekial das Geschehen aus sicherer Entfernung. Er hatte dieses Ritual schon einmal gesehen – das Abschneiden der Schwänze. Und wenn jemand einen ersten Treffer erzielt hatte, wurde er mit dem Blut des Opfers bestrichen. Einer der Farmer hatte Ezekial diese alte Tradition erklärt und gesagt, in seiner Heimat jage man ein Tier, das Fuchs hieß. Ezekial fand, es war eines der wenigen Rituale der Weißen, die ihm vernünftig erschienen. Allerdings vergaßen die Weißen immer, ein Tier um Vergebung zu bitten, bevor sie es töteten. Kein Ureinwohner würde eine so wichtige Regel übertreten, denn das bedeutete Unglück.
Judd schrie und strampelte, bis
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