Traumzeit
geliefert.
Sie öffnete die letzte Schachtel und nahm eine handgeschriebene Notiz heraus, auf der stand: ›Wer am vergangenen Sonntag meine Pferde gestohlen hat, wird überführt werden! Und er wird bedauern, daß er es getan hat.‹ In dem Blatt war in der Mitte oben ein Loch. Offenbar war es an einen Baum genagelt worden.
Schließlich fand sie noch eine vergilbte Ausgabe von Sydney
Gazette
aus dem Jahr 1835 .
»Bekanntmachung«, las sie, ›Die
Nimrod
mit Kapitän White lief am Samstag aus London, Plymoth, Teneriffa und dem Kap kommend im Hafen von Sydney ein. Das Schiff hat Kupfer, Werkzeuge, Stoff, Kutschen, Post und landwirtschaftliche Güter an Bord. Außerdem eine Reihe von Passagieren. Die Schiffseigner, Buchanan und Co., geben hiermit der verehrten Öffentlichkeit bekannt, daß die
Nimrod
in einer Woche wieder nach England zurückkehren wird und zwanzig Passagiere aufnehmen kann.‹
Gibt es irgendwo noch so eine Bekanntmachung, fragte sich Joanna, die 1830 die Ankunft des Schiffs
Minotaurus
oder
Zyklop
oder
Pegasus
mit Frachtgütern und Passagieren mitteilt? Befand sich unter diesen Reisenden ein Mann namens John Makepeace mit seiner jungen Frau Naomi?
Wo auf diesem großen, weiten Kontinent sind sie an Land gegangen? »Sie werden keine Unterlagen über Schiffe finden, die 1830 Melbourne angelaufen sind«, hatte Frank ihr erklärt. »Damals existierte Melbourne noch nicht. Es gab hier nichts als Ureinwohner, die Aborigines.« Das bedeutete, es kamen nur Sydney und Brisbane im Osten, Adelaide im Süden und Perth im Westen in Frage.
Joanna war fest entschlossen, die Hoffnung nicht aufzugeben. Sie dachte an die Briefe, die sie an die Schiffseigner richten wollte, deren Adressen Frank ihr versprochen hatte. Sie würde bei den Reedereien nach einem Schiff mit einem mythologischen Namen fragen und einem Ehepaar namens Makepeace. Wenn sie das herausfinden konnte, dann würde sie vielleicht feststellen können, wohin die Großeltern von ihrem Bestimmungshafen gegangen waren und wo ihre Mutter geboren wurde. Und dann konnte sie das Rätsel der Vergangenheit lösen und die Träume verstehen, die sie noch immer quälten. Nur dann würde sie die Angst überwinden, auch das ungeborene Kind werde die Last dieser Vergangenheit erben.
2
Miss Adele Tallhills leise Stimme klang wie das Flüstern des Regens hinter den Fensterscheiben. »Mr. Westbrook, die Beschäftigung mit der Urkunde hat mir unterhaltsame Stunden gebracht. Es glich eher der Lösung eines Puzzles. Und ich bin glücklich, Ihnen sagen zu können, daß es mir gelungen ist, einen Teil der Worte zu entziffern.«
Hugh und Miss Tallhill saßen in ihrem Wohnzimmer, das ein knisterndes Feuer wärmte. Auf einem Tisch vor ihnen stand ein Tablett mit Sherry und Gebäck. Überall im Zimmer gab es Nippsachen, und es duftete stark nach Lavendel.
Hugh hatte dieser an den Rollstuhl gefesselten Frau, die bei ihren Eltern lebte und sich mit Schreibarbeiten ein bescheidenes Einkommen verdiente, die Urkunde und eine Probe von John Makepeaces Stenographie gebracht. Miss Tallhill schrieb auf Bestellung private Briefe, Urkunden und Einladungen sowie phantasievolle Liebesbriefe. In Melbourne galt sie auch als Expertin für Handschriftenanalyse.
Hugh warf einen verstohlenen Blick auf die Uhr über dem Kamin. Er mußte so schnell wie möglich zum Hotel zurück und brannte darauf, Joanna seine Neuigkeiten zu berichten. Nachdem er den Transport seines Widders nach Merinda geregelt hatte, war er in dem Büro von Buchanan und Co., einer großen Reederei, gewesen und hatte erfahren, daß sie Schiffe mit dem Namen
Pegasus
und
Minotaurus
besaß. Man hatte Hugh versprochen, sich beim Hauptsitz der Reederei in London nach der Geschichte der beiden Schiffe zu erkundigen.
Außerdem war er mit dem Feueropal bei einem Juwelier gewesen. Er hatte den Mann um eine Schätzung gebeten und um einen möglichen Hinweis auf seine Herkunft. Der Juwelier konnte das Ursprungsland nicht feststellen, auch nicht den Marktwert, aber er hatte Hugh angeboten, den Stein zu einem beachtlichen Preis zu kaufen.
»Was haben Sie entziffern können, Miss Tallhill?« fragte er.
Sie sah ihren Gast prüfend an. Sie schätzte ihn auf Anfang dreißig. Er hatte rauchgraue Augen und eine attraktive Falte zwischen den Brauen. Ein angenehmer schwacher Duft umgab ihn, und nach einer Weile wurde ihr bewußt, er roch nach Lanolin. Sie hatte das bei Schafzüchtern schon öfter bemerkt. Das Lanolin schien ihnen unter
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