Traumzeit
hingen Lisa ins Gesicht, sie hustete und würgte. Als sie schließlich mühsam aus dem Becken kletterte, sah sie die Unsicherheit in den Gesichtern der anderen.
»Das war nicht fair, Carey«, sagte Billie Addison.
Randolph lachte nur noch lauter. »Ihr seid alle Waschlappen«, sagte er. »Ich glaube, Miss Möchtegern, du kannst doch nicht eine von uns werden. Du hast die Prüfung nicht bestanden – nicht, wenn du vor einem alten Hund Angst hast.« Er drehte sich um und ging mit dem Hund davon. Ein paar Jungen folgten ihm.
»Meine Güte«, sagte Declan McCloud und half Lisa. »Du siehst ja aus.«
Lisa zitterte so heftig, daß ihr die Zähne klapperten.
»Was willst du denn jetzt machen?« fragte Billie. »Wirst du zum Direktor gehen und es ihm sagen?«
»Du gehst besser nach Hause«, sagte Declan. »So kannst du dich bei keinem Lehrer blicken lassen.«
Aber Lisa konnte nicht nach Hause. Der Wagen sollte erst in zwei Stunden kommen.
Sie versuchte, das Zittern zu unterdrücken, sah sich auf dem dunklen Schulgeände um und überlegte, was sie tun würde. Sie konnte sich nicht daran erinnern, schon jemals so gefroren zu haben.
»Du holst dir eine Lungenentzündung«, sagte Declan. »Daran kann man sterben.«
»Du kannst dich in den Stall setzen«, schlug Billie vor. »Dort wird es dir vielleicht warm.«
Aber Lisa sagte: »Nein, es ist schon in Ordnung. Ihr könnt gehen.«
Lisa blickte auf das erleuchtete Fenster im zweiten Stock des Lehrergebäudes. Sie wußte, an wen sie sich um Hilfe wenden konnte.
5
Judd öffnete die Tür und sah Lisa im Flur stehen. »Großer Gott, was ist denn mit dir passiert?« fragte er.
»Ich bin hingefallen.«
Er sah die nassen Haare, das nasse Kleid und die Pfütze, die sich auf dem Boden bildete. »Komm herein.« Er warf einen raschen Blick in den Flur, ehe er die Tür schloß.
Er brachte Lisa zum Kamin. »Erzähl mir, was geschehen ist.«
»Ich bin am Desinfektionsbecken vorbeigelaufen und hineingefallen.«
»In das Desinfektionsbecken! Was hast du dort gemacht – und was tust du um diese Zeit noch in der Schule?«
Lisa gab keine Antwort, und Judd dachte darüber nach, was zu tun sei. Lisa sah jämmerlich aus mit den klatschnassen Haaren und dem Kleid, das an ihrem Körper klebte. Und sie zitterte heftig.
Judd nahm eine Decke von seinem Bett und reichte sie ihr. »Da. Zieh die nassen Sachen aus und wickle dich in die Decke. Bleib dicht am Feuer. Ich suche jemanden, der nach Merinda fährt und deine Eltern benachrichtigt.«
Als er kurze Zeit später zurückkam, saß Lisa vor dem Feuer. Sie hatte sich in die Decke gehüllt, und ihre Kleider lagen ausgebreitet vor dem Kamin.
»Es ist jemand unterwegs nach Merinda«, sagte er und blickte auf sie hinunter. »Wer hat das getan, Lisa?«
Als Lisa nicht antwortete, sagte er: »Das ist eine ernste Sache, Lisa. Das begreifst du doch, oder? Du mußt mir sagen, wer es war.«
»Ich bin gefallen, das ist alles.«
Judd blickte auf die Uhr. Wie lange würde es dauern, bis ihre Eltern kamen? Er wußte, was er bei einem Jungen in einer solchen Situation getan hätte. Aber Lisa verwirrte ihn. Auf seinem Arbeitstisch stand ein kleiner Spirituskocher. Er brachte Wasser zum Kochen und streute Tee hinein. Dabei ließ er das stumme Mädchen nicht aus den Augen.
»Lisa«, er brachte ihr den Tee, »ich will dir helfen. Ich verspreche dir, du bekommst keine Schwierigkeiten. Erzähl mir, was geschehen ist.«
Lisa blickte unverwandt in die Flammen. In ihren Augen schimmerten Tränen. Eine feuchte Haarsträhne fiel ihr über die Wange.
»Die Jungen haben sich einen Spaß mit dir erlaubt, nicht wahr?« fragte er.
»Es ist schon in Ordnung«, sagte Lisa. »Die kümmern mich nicht.«
Er sah, wie ihr eine Träne über die Wange rollte. Plötzlich fühlte er sich unerklärlicherweise unbehaglich.
»Wenn du mir sagst, wer das getan hat, Lisa, werde ich dafür sorgen, daß er bestraft wird.«
Aber Lisa schwieg.
Es klopfte, und der Direktor kam mit Joanna und Hugh herein.
Joanna ging mit Lisa in das andere Zimmer, trocknete sie ab und half ihr in die mitgebrachten frischen Sachen. »Ist alles in Ordnung, Liebling? Hast du dir weh getan?« fragte sie. »Erzähl mir, was geschehen ist.«
»O Mutter«, Lisa versuchte, nicht zu weinen, schluchzte aber trotzdem. »Es war eine Mutprobe. Ich mußte über eine Planke laufen. Und da war ein Hund …«
Joanna nahm ihre Tochter in die Arme und drückte sie so fest an sich, als wollte sie Lisas Kummer
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