Traumzeit
Joanna. Sie hatte ein schlichtes Holzhaus inmitten von halb vertrocknetem Gestrüpp erwartet. Statt dessen erreichten sie eine gepflegte Anlage mit mehreren Steinhäusern, die um die vermutlich einzige Quelle im Umkreis von mehreren Meilen standen. Joanna kam sich plötzlich wie in einer Oase vor, als sie die Bäume sah und das Gras, das auf der Böschung eines kleinen Bachs wuchs, in dem klares Wasser floß. Fox führte sie zu einem großen, mit Brettern verschalten Haus mit einer breiten Veranda und einem Blechfaß, in dem Regenwasser gesammelt wurde. Eine Tafel über dem Haupteingang trug die verblaßte Inschrift: ›Katholische Kirche St. Alban, Pfarrer Pater McGill, Hl. Messe an jedem vierten Sonntag im Monat.‹ Darunter war eine zweite Tafel angebracht: SCHULE UND KRANKENSTATION .
»Die Nonnen wohnen hier, und dort drüben ist die Krankenstation«, erklärte Fox, während sie die Stufen der Veranda hinaufstiegen. »Es würde mich nicht wundern, wenn wir Schwester Veronika dort finden, denn sie scheint in der Krankenstation zu leben.« Er lachte leise.
Joanna erlebte noch eine Überraschung, als sie eine kühle, ruhige Eingangshalle betraten, in der es nach Zitronenpolitur und frischen Blumen duftete. Der Staub und die Fliegen der Goldfelder und des Eingeborenenlagers schienen diesen christlichen Vorposten nicht zu erreichen, der, wie Fox erklärte, von zwölf Nonnen mit großer Hingabe betreut wurde.
Schwester Veronika war eine kräftige Frau Ende sechzig. Ihre weiße Schwesterntracht unterstrich die dunkel gebräunte Haut, und obwohl ihr Gesicht die jahrelangen Härten eines Lebens in der Wüste verriet, hatte sie eine erstaunlich kultivierte englische Aussprache.
»Paul«, sagte sie zu dem Kommissar und gab ihm die Hand. »Wie schön, Sie zu sehen. Sie besuchen uns viel zu selten.«
Fox stellte ihr Joanna, Kapitän Fielding und Lisa vor. Eric Graham versuchte, unauffällig im Hintergrund zu bleiben und hielt Notizbuch und Bleistift bereit. Kommissar Fox erklärte: »Mrs. Westbrook sucht nach Spuren ihrer Großeltern, die vor Jahren möglicherweise durch die Gegend gekommen sind. Ihre Namen waren John und Naomi Makepeace. Sie haben einige Zeit bei einer Sippe Ureinwohner an einem Ort namens Karra Karra gelebt.«
»Tut mir leid«, sagte die Nonne nach kurzem Nachdenken, »den Namen Makepeace habe ich noch nie gehört, und Karra Karra kenne ich nicht. Vielleicht erkundigen Sie sich bei den Aborigines vor der Stadt.«
»Das haben wir bereits getan«, sagte Joanna. »Leider habe ich nichts herausgefunden.«
Schwester Veronika sah das enttäuschte Gesicht ihrer Besucherin. »Wenn Sie mir etwas mehr erzählen, wird das meiner Erinnerung möglicherweise auf die Sprünge helfen. Ich war gerade auf dem Weg in die Krankenstation, um Schwester Agatha abzulösen. Wenn Sie mitkommen wollen, können wir uns unterwegs unterhalten.«
Sie verließen das Gebäude durch den Hinterausgang und gingen über einen Weg zwischen erstaunlich grünen Rasenflächen. Lampenputzerbäume, die übersät von schweren roten Blüten waren, und die ausladenden Äste und Zweige hoher Eukalyptusbäume, die über ihr raschelten, erinnerten Joanna an Merinda.
»Wie schön es hier ist«, sagte sie. »Wenn man die Stadt und die Goldfelder sieht, kann man sich nicht vorstellen, daß es etwas so Schönes ganz in der Nähe gibt.«
»Wir haben genügend Wasser. Bustard Creek, etwa zwanzig Meilen weiter südlich, wird von einem unterirdischen Fluß gespeist, der tief in der Erde durch Kalksteinkavernen fließt. Es gibt nur wenig, was wir hier nicht anpflanzen können.«
»Sie haben großes Glück, Schwester, daß dieses Land Ihnen gehört.«
»O, das Land gehört uns nicht, Mrs. Westbrook«, sagte Schwester Veronika. »Die Kolonialverwaltung hat uns vor Jahren erlaubt, hier unser Krankenhaus zu bauen, um die wenigen Goldgräber zu versorgen, die damals Claims abgesteckt hatten. Und als der Goldrausch einsetzte, hatten wir plötzlich alle Hände voll zu tun. Wir behandeln viele verletzte Köpfe und Füße. Die Männer gehen mit ihren Pickeln und Schaufeln offenbar sehr sorglos um.«
»Ich bin sicher, die Goldgräber sind dankbar, daß es Sie und die anderen Schwestern hier gibt.«
»Ich kann Ihnen versichern, wir sind ständig beschäftigt. Aber wir stehen vor einem Problem, Mrs. Westbrook. Die Behörden werden gedrängt, uns von diesem Land zu vertreiben, weil Minengesellschaften es übernehmen wollen. Wir sind kein reicher Orden,
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