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Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)

Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)

Titel: Traurige Therapeuten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingomar von Kieseritzky
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Schicksals-Beichte auf Dachboden rubrizieren können.
    Passow räumte die Fischreste in eine Aldi-Tüte und verging sich dann an meinem Château Margaux.
    Immerhin tranken wir aus sauberen Zahnputzgläsern, die Passow wütend gereinigt hatte; ein Saustall hier, sagte er immer wieder, ein chaotischer.
    Er saß auf meinem alten Sessel, ich lag im Tal, zwischen uns leuchtete unter der nackten Deckenbirne der Messingtisch mit dem guten Château Margaux 1988.
    Du hast ja schon immer, sagte Passow, an fixen Ideen gelitten, die aber kann man sich nur leisten und aushalten, wenn man exemplarisch gesund und fluide ist.
    Ich müsse jetzt gewissermaßen Beichte ablegen, er habe für alles Menschliche hienieden nicht nur tiefes Verständnis, sondern sogar warme Sympathie für jedes Elend, individuell wie kollektiv.
    Wie schön, sagte ich ergeben.
    Nichts kann eine Unterhaltung schlimmer torpedieren als absolutes Verständnis.
    Tja, sagte ich nach einem zweiten Glas Wein, wir befinden uns … irgendwie in den Ruinen meines Palastes der Erinnerungen  …
    Schön gesagt, sagte der für Poesie immer empfängliche Passow.

 
    19 Passow redete und redete und prononcierte und modulierte, gestikulierte mit seinen behaarten Händen und elaborierte sich so vollständig, dass sich zu den Schmerzen der lädierten Nase auch noch Kopfschmerzen gesellten. Ich lag wie ein zertretener Käfer (subjektiver Eindruck) auf dem Rücken im lauschigen Sofatal und lieh ihm, wie man so sagt, nicht ganz freiwillig mein Ohr.
    Ich werde, so sprach er, zu dir aufrichtig sein, obwohl das wahrscheinlich ein Fehler ist, sei’s drum, mein Freund. Du warst schon immer ein Bienenkorb voller Neurosen mit einer Neigung zu überraschenden Obstruktionen deiner nächsten Umgebung. Du leidest unter diversen Neuralgien und Neurasthenien, wie man weiß. Du leidest an der Welt, die doch auch jetzt noch mitunter von erklecklichem Reiz sein kann, wenn man sich um sie kümmert.
    Aber du ziehst dich wie ein verwundetes Tier auf einen schmutzigen, stinkenden, ja versifften Dachboden zurück, umgibst dich mit alten und kranken Tieren –
    Im Hintergrund, Ostseite, sagte eine Stimme hinter einem Balken deutlich: Arschloch.
    Passow war irritiert.
    Gib’s ihm, Wright, sagte ich, ich habe Eierlikör für dich.
    Mit wem ich da spräche, fragte Passow.
    Mit einem Papageien, sagte ich, einem blinden Ara, er höre auf den Namen des berühmten Philosophen Georg Henrik von Wright.
    Passow ließ sich nicht beirren und arbeitete unermüdlich weiter an meinem wenig schmeichelhaften Porträt.
    Dir entging immer, sagte er, die enorme Anziehungskraft eines erfolgreichen Geschäftsmannes, Arthur, du hast dein Leben verfehlt. Du bist immer ein Scharlatan gewesen, ein charmanter Bluffer, deine Therapien waren stets Windeier …
    Wright gefiel das neue Wort; und wenn ihm eines gefällt, neigt er zu Wiederholungen.
    Windeier, krächzte er begeistert, windige Windeier, wehe und windige Windeier, wüste Windeier, wilde Windeier, Wichseier, und dann kratzte er sich vor Vergnügen das Brustgefieder.
    Nun zu deinen Passionen und Obsessionen, die ausnahmslos eine logische Folge deiner unglücklichen physischen Disposition sind und waren – du bist, und das macht deine Leiden verständlich, deine rücksichtslose Weltflucht wie deinen Grad der Verwahrlosung, eigentlich ein Zwerg, das ist das Elend.
    Ich bin, sagte ich matt nach einer langen Pause, lediglich klein, aber unheimlich drahtig. Das war wohl ein Zitat, aber mir fiel zum Geier nicht ein, von wem und woraus. Beklagenswert.
    Man müsse sich den Tatsachen stellen, sagte Passow, gute Freunde seien auf der Welt, um sich rücksichtslos aufrichtig die Wahrheit zu sagen, sei sie auch noch so schmerzlich.
    Ich sei, fuhr er fort, ein willenloses Wrack, welches sich ziellos im Strom der Zeit treiben lasse; eine gewissermaßen sinnlose, sozial unverantwortliche Existenz.
    Mein Kopfschmerz nahm zu, ein feines, pulsierendes Hämmern in den Schläfen, auf dem Knochen-Amboss. Passow bediente sich an meinem Château Margaux.
    Der Primat des Willens sei es, so sagte er bedeutsam, der das Verhalten bestimme –
    Ich erwiderte, dass ich nicht glaubte, dass der Wille von dem Verhalten, dessen Ursache er sein soll, nicht logisch unabhängig sei.
    Windei, windiges, schrie Wright nach meinem von David Hume Esq. inspirierten Satz.
    Eigentlich, sagte Passow, der nicht zugehört hatte, sei ich ein guter, ja sozusagen ethisch hochstehender Mensch, aber das zufällige

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