Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)
Käfige.
Mäusezucht, System.
Woher die Mäuse?
Zur Frage der Mäusemelkmaschinen-Idee: Sie müssen pneumatisch sein!
Ich lobte seinen Entwurf; er sei klar und distinkt und berechtige zu den schönsten Hoffnungen.
Wir schieden freundlich voneinander, will sagen, ich floh mit schlechtem Gewissen und fuhr mit dem Vindobona-Express zurück nach Berlin, wo mich weniger dramatische Zufälle heimsuchten. Besessen von der Mäusemilch-Idee ruinierte Passow beinahe seine alleinerziehende Mutter. Labormäuse, erfuhr ich durch karge Postkarten, waren leicht aufzutreiben, und sie vermehrten sich, wie die Natur es befahl. Die Große Idee scheiterte an den Melkmaschinen für Mäuse, obwohl Passow einen Ingenieur für feinmechanische Instrumente aufgetrieben hatte, der erfolgreich Herzschrittmacher für Papageien konstruierte.
Passow hatten die Misserfolge maßlos erschöpft, so dass er sich aus der Geschäftswelt zurückzog und eine Beschäftigung suchte, bei der man morgens nicht früh aufstehen muss und bei der es nicht stinkt. So wurde Eugen Passow Schriftsteller.
18 Passow schlug vor, auf meinem Dachboden eine systematische Wohnungsauflösung zu simulieren, also Vorbesichtigung, Inspektion mit Liste (die übernähme er gern), Würdigung aller Objekte, sodann Inventur; meine Aufgabe sei es, Kommentare zur Geschichte der Objekte zu liefern, Daten und Fakten.
Eugen, sagte ich, ich bin schon seit langer Zeit infirm, mein Gedächtnis funktioniert unzuverlässig, ich hänge an allen Objekten, aber das Chaos auf diesem Boden ist ganz undurchdringlich. Mein Herz, so fuhr ich fort, hinge an allen Objekten, die da in Schränken, Kommoden und Kisten noch ihren Winterschlaf hielten, und eigentlich sei es ein Unding, ihre würdige Ruhe zu stören.
Ich begreife vollkommen, sagte Passow und richtete den Strahl der Taschenlampe mit der gelben Korona auf eine Holzkiste mit dunkler Beschriftung: Château Margaux 1988. Du bewahrst, sagte er erschüttert, sogar alte Weinflaschen auf … könnte es sein, dass du am Messie-Syndrom laborierst? Ich kannte einmal einen alten Säufer, der sich eine Kollektion leerer Weinflaschen hielten, sorgsam beschriftet mit einem Kurzverzeichnis der Trinkzeit und -gelegenheit; seine Leber machte gerade eine crise de foie durch, wie der Franzose sagt, und er labte sich an seinen Erinnerungen …
Die Flaschen, sagte ich kühl, seien nicht leer.
Passow reagierte gereizt; was ich damit sagen wolle – sie seien nicht leer.
Ich habe sie seit Jahren nicht angerührt, sagte ich, sie stammten aus den Beständen meines toten Vaters.
Ein gewiss teures Souvenir an den großen Maler Max Singram, sagte Passow nun sehr sanft, aber ihm zu Ehren könne man durchaus eine Flasche öffnen. Ich entwand ihm die Taschenlampe und beleuchtete einen geräumigen Bücherkarton.
Meine Kollektion, die Acta psychosomatica, vollständig, sagte ich, vierzehn Kladden aus Kunstleder im Format DIN A5, gelocht; 24 Notizbücher aus den vier Praxen meines Lebens; Tagebücher aus dreißig oder vierzig Jahren, ich weiß es nicht mehr genau; ein Stethoskop; diverse Liebesbriefe, meine an die Frauen – ich forderte sie nach jedem Finale wieder zurück – und die Briefe der Frauen an mich vor dem Finale, die wenigsten Frauen wollte die ihren wieder haben –, und meine sämtlichen Studien zum Winterschlaf …
Dann überkam mich eine schwarze Welle vom Kopf bis zu den Füßen, und ich muss wohl auf die Dielen gestürzt sein, mitten aufs Gesicht.
Diese Absence, sagte ich später im tiefen weichen Tal meines Sofas an der Nordseite, sei eine direkte Folge meiner diätetischen Experimente, auch die Nebenwirkungen passten zuverlässig ins Bild denaturierter, aber noch nicht gänzlich beschädigter Gesundheit.
Passow erwiderte, er wundere sich über nichts mehr, wer so schwachsinnig sei, in unserem Alter rigorose Reduktionen am eigenen Körper zu veranstalten, habe den Verstand verloren.
Kleinmütig stimmte ich zu; meine Nase war stark lädiert, die Brille kaputt, auf der Stirn wuchs mir ein kleines Horn.
Passow ließ sich den Küchenverschlag zeigen und brachte nach kurzer Zeit eine Büchse Thunfisch und eine Dose Sardinen auf einem Teller, dazu Messer und Gabel; er war voller Energie, schleppte den Messingtisch an mein Schmerzenslager und stopfte mich mit kleinen Fischpartikeln; dazu gab es Russisch Brot. Zuerst musste ich würgen, aber dann ging’s ganz gut hinab.
Wäre ich ein Romancier, hätte man diesen Nachmittag unter
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