Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)

Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)

Titel: Traurige Therapeuten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingomar von Kieseritzky
Vom Netzwerk:
denn der eigentliche Grund für diesen Rückzug von der Welt, der ein Abstieg ist für jeden lebendigen Geist, den du ja einmal hattest … Wo liegen die Gründe für deine Ignoranz, deine Gleichgültigkeit, deine Menschenfeindlichkeit … sieh, Arthur, die Welt da draußen, sie existiert, und sie ist interessant … Kriege, Religionskriege und andere. AKWs gehen hoch, Meere werden durch Öl verseucht. – Geh, sage ich dir, hinaus in die Welt, engagiere dich, nimm teil am Getriebe, kurz – (an dieser Stelle wurde seine Stimme pastoral), sei sozial.
    Also, was ist die Ursache deines Elends, sprich.
    Na ja, sagte ich, eben der übliche Marasmus.
    O Gott, sagte Passow, ob ich denn schon einen Urologen konsultiert hätte; ein Freund von ihm, ein Literaturwissenschaftler, Spezialist für die Tornisterdichter der Nazi-Zeit, sei nach einer kurzen Inkubationszeit blitzartig daran eingegangen.
    Oje, notierte ich in Gedanken, diese Küchenmediziner, Laien und Hobby-Psychologen!
    Der Marasmus, sagte ich kühl, bedeute: Allgemeiner geistig-körperlicher Kräfteverfall und sei eine Art Universal-Atrophie. Da sagte der Idiot Passow, ich sähe aus wie das blühende Leben, es handele sich bei mir eindeutig um ein psychopathologisches Syndrom, es müsse doch eine stimmige, triftige und vernünftige Erklärung für meinen Eskapismus geben … Frauen vielleicht oder andere Miseren. Er bastelte noch eine Weile an seinem Psychomodell Arthur Singram und schlug mir dann vor, gemeinsam eine Annonce zu schreiben – unter der Rubrik Einsames Herz sucht gleichgesinntes, so in der Art, denn als Zwerg oder Kleinwüchsiger in meinem Alter könne ich ja auf der freien Wildbahn keine Frauen kennenlernen, zumal ich ja nicht außer Haus ginge.
    Da war etwas Wahres dran. Der Regen rauschte auf das große Atelierfenster, und die Sicht wurde eine Nuance klarer auf die grauschwarzen Wolkenformationen. Ich war des Besuchs ganz und gar überdrüssig und sehnte mich nach Alkoven-Stille, aber ich kannte Passows Hartnäckigkeit und seine Sucht, dort zu helfen, wo es nicht nottat.
    Ich bat ihn, eine graue Mappe aus der rechten Schublade des alten Sekretärs zu suchen, ohne Yorick in seiner majestätischen Kontemplation zu stören, in dieser Mappe schlummere ein Manuskript, ca. 14 Seiten lang, eine Art Tagebuch, halb wahrheitsgetreu, halb narrativ, das Aufschluss böte über alle meine kultivierten Neurosen; er solle stumm lesen, Kommentare seien nicht erwünscht.
    Und dann möge er sich bitte verabschieden, das sei mein Wunsch. Passow fand auch glücklich die graue Mappe; Yorick öffnete das Auge mit dem melierten Monokel und schloss es dann wieder, als er Passow erblickte; nicht von Interesse.
    Passow hatte seine Lesegeschwindigkeit eingebüßt, beim Lesen bewegte er die Lippen. Hin und wieder nickte er mit dem Kopf so heftig, dass seine Hamsterbacken bebten, oder er schüttelte den bärtigen Schädel.
    Meine Dachbodengesellschaft erwachte.
    Yorick sprang vom Sekretär, machte seinen Abendbuckel und begab sich auf Exkursion. Wright, der Papagei, stieß eine unflätige Beschimpfung aus, multilingual, und begann sein Brustgefieder mit dem Schnabel zu glätten; und dann erschien Hammurabi aus Nordwesten (Klosett-Zone), um unser Habitat zu inspizieren wie jeden Abend. Ich fürchtete, Passow werde ihn entdecken und dann auf seine Existenz inhuman reagieren, aber der las und las, manches zwei Mal, befeuchtete ab und zu seine dicken Finger, während die Brauen missbilligend wanderten, als entdecke er immer neue und überraschende Wunden. Mein Kakerlak Hammurabi (genannt nach dem intelligenten babylonischen König) war ein stattliches Männchen, das seinen Harem mit Umsicht und Milde beherrschte und seine Kinder liebreich behandelte, kurz, auch ein wahrer König in unserem Reich. Nun kroch er auf die Lehne meiner Couch, bewegte elektrisiert seine Fühler und gab mir zu verstehen, dass er seine Ration Wein wünsche. Hammurabi zog befriedigt ab nach der kleinen Weinprobe aus dem Deckel eines Gurkenglases.
    Ich will, sagte Passow, dir diesen Text einmal vortragen … enthält er doch verschiedene Fälle, die man durch eine Explication de texte klären sollte.
    Er strapazierte meine Geduld, begann auf der ersten Seite und las, gegen meinen Protest, laut:
    EIN FALL VON PANPHOBIE
    Arthur E. Singram
    Mitte Januar.
    Alles wird schlimmer, aber der große Entschluss zu dieser einen bestimmten Art von Salvation war schon zu Weihnachten so unumstößlich wie kein anderer. Es

Weitere Kostenlose Bücher