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Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)

Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)

Titel: Traurige Therapeuten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingomar von Kieseritzky
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Schicksal mit seinen seltsamen Bifurkationen habe mich zu einem neurotischen, psychopathischen Menschen voller rastloser, aber immer prominenter Neurasthenien gemacht; aber nur so sei es mir möglich geworden, derart gewalttätige Kompensationsenergien zu kultivieren; das sei durchaus eine bewundernswerte Leistung, aber er müsse leider auf die Toilette – die leidige Prostatitis zwinge mitunter zu unfreiwilligen Unterbrechungen.
    Ich beschrieb ihm den beschwerlichen Weg, immer Richtung Südost und dann, hinter einem Umzugskarton der Firma Zapf, scharf nach rechts. Passow setzte sich vorsichtig in Trab und verschwand in der Dämmerung.
    Ich weiß noch, dass sich, rein subjektiv, dieser Nachmittag oder der frühe Abend endlos zog. Ich bin der Meinung, dass ein über alles Maß ausgedehnter Besuch eine Okkupation ist; dazu soff Passow meinen Wein, den ich für eine besondere Gelegenheit gebunkert hatte. Ein Hintergedanke begleitete diese Überlegungen wie ein Rossapfel den Schwimmer – was tun, wie handeln, wenn er sich bei mir einnisten wollte …

 
    20 Nach Passows wilden Flops in Wien –, Naturdünger aus den Exkrementen exotischer Vertebraten, Verlobung mit dem Fräulein Stasny aus Ottakring, blieb er unablässig und voller Energie auf der Jagd nach der unserer Zeit kongenialen Geschäftsidee. Damals war er dauerverlobt, aber mit verschiedenen, immer wieder wechselnden Damen, in den meisten Fällen einsame Frauen ohne lästige Familienbande, die seinen Hundeblick und seine charmante Ergebenheit goutierten. Bei diesen Eroberungen fraß er sich durch. In seiner besten Zeit liefen 14 Verlobungen parallel, allerdings in verschiedenen Bezirken. Blumen, kleine Geschenke und die Reisen in der City kosteten Geld, sodass er die restlichen frommen Relikte aus seinem Laden versilbern musste. Seine Verlobten notierte er treulich in einem Kleruskalender des Jahres 1973, damit ihm keine Verwechslung zustieße.
    Unter den Adressen und Telefonnummern der Damen vermerkte er mit viel Scharfblick ihre Eigenschaften, d.h. Vorlieben und Abneigungen; diese Notate waren wahre Psychogramme, wenn ich mich recht erinnere. Eines Tages erreichte mich eine seiner Kunstpostkarten, in diesem Fall eine unfromme, Botticellis Geburt der Venus :
Lieber Arthur,
habe ein Mädchen kennengelernt im Cafe Tiller, die so ähnlich ausschaut wie diese Venus in der Muschel; auch sie ist blond, hat kleine Titten (apfelförmig) und baucht auch leicht wie die Botticelli-Venus. Sie heißt Lenore und ist vielleicht endlich eine Partie. Frage ist die, kennst Du ein todsicheres Hypnose-Verfahren, das Dir vielleicht durch Deinen Fernlehrkurs für Heilpraktiker zugefallen ist; es pressiert. Bitte, wie immer, postlagernd, alte Nummer.
Dein Eugen.
    Ich schrieb zurück:
Lieber Eugen, mit Hypnose keinerlei Erfahrung. Um Damen in Trance zu versetzen, muss man sie irgendwie geistig becircen.
Arthur.
    Passow stürzte sich mit seinem üblichen Aplomb in dieses geistig-erotische Abenteuer. In einem Antiquariat erwarb er, ein schöner Zufallsfund, Rasputins Ende , Verfasser war der Mörder Rasputins, Fürst Felix Jussupoff; parallel las er dazu passend Das Ende der Romanows von einem gewissen Maurice Paléologue.
    Die Dame Lenore liebte, wie ich erfuhr, historische Romane, und sie war entzückt, als Passow ihr bei einem Spaziergang im Prater mitteilte, dass er an einem Zeitbild in der Form eines Romans arbeite.
Diese Revolutionszeit, schrieb mir Passow in seiner winzigen Schrift, war wirklich eine großartige Zeit, denkt man an die genialen Ideen des Philosophen Solowjew, die vor der Revolution schon in der Luft lagen, das waren Visionen! Geistig-schöpferische Praxis allerorten durch Theurgie, die die Gesetze der Natur verändern – das steht schon im Vorwort von Groys. Und dann der Philosoph Fjodorow, schreibt der Herausgeber Groys, der sein Projekt verkündet, alle Menschen, die früher gelebt haben, künstlich wiederzuerwecken, um die Zeit zu überwinden und den gesamten Erdball in ein Museum zu verwandeln. Ich trug diese hier referierten Ideen aus dem substanzreichen Vorwort Lenore als Frucht eigener Forschung vor, und sie war mehr als affiziert; aber ganz aus dem Häuschen, als ich ihr den Chlebnikow wie eine Praline auf dem Silbertablett reichte – die kommende proletarische Revolution müsse in einen Aufstand der Tiere münden und in einer universalen Sprache! Ein Gedanke, der Dir zusagen wird, wie ich Dich kenne … und es kam beinahe zu einem stürmischen Kuss,

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