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Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)

Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)

Titel: Traurige Therapeuten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingomar von Kieseritzky
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– friedlich entgegendämmern ohne Störungen durch die idiotische Außenwelt, ohne überflüssige Kommunikation, ohne sog. menschliche Kontakte; und nach dieser sehr vernünftigen Erklärung hatte ich das Bedürfnis, meine Hände zu waschen. Im Bad musste ich das Kakerlaken-Massaker entdecken und weinte einen Augenblick beim Anblick des mörderischen Tableaus. Passow, wer sonst, hatte meine Familie mit der Klobürste erschlagen, die jetzt wie eine fette Raupe in der Badewanne lag. Alle waren sie dahin; die kleinen Leichname hatte der Mörder mit Klopapier unter das Abflussrohr des Klosetts gestopft, zerquetscht bis zur Unkenntlichkeit. Alle waren sie dahin, Mulford, Bollnow, Heidegger und auch Jaspers, alle dahin, nur Loyola regte sein rechtes Bein. Hammurabi hockte neben seiner Frau Blanche, einstmals ein hübsches Albino-Weibchen, und er bewegte rastlos seine Fühler; wer zählte die Leichen, wer nennt die Namen; sie alle waren tot, Zenta Maurina, Billy Graham, George Sand – ein besonders fruchtbares und fleißiges Tier –, der dicke Gabriel Marcel ebenso wie seine Mutter Clarisse; der unglückselige Romano Guardini klebte platt an einer grünen Kachel, auch er dahin, wie alle … Die heilige Mechthild und die kleine Konnersreuth; Passow hatte auch die Kinder nicht geschont, dieser puristische Psychopath.
    Carlyle lag zerschmettert vor dem Klosettbecken und mit zerfetzten Flügeldecken Gertrud von le Fort, Luther und Rinser unter dem Waschbecken. Ich bin nicht sentimental; aber als ich sie aufsammelte, sorglich jedes kleine Insekt, und in den Orkus spülte, schwor ich Rache, natürlich kalte.
    In begreiflicher Unruhe über einen derart irrationalen Gast eilte ich zurück, nachdem ich mir frenetisch die Hände gewaschen hatte.
    Als ich zurückgekehrt war, saß Passow noch immer im Ohrensessel, er hatte die Augen geschlossen, und ich hoffte, der Schlag habe ihn getroffen, der tückische Tatzelwurm, wie es so schön in Aschraths Schrift Innere Monographie eines Leichenbeschauers oder so ähnlich heißt, aber leider öffnete er die Augen und starrte auf sein Notizbuch, mit einem Zeigefinger im Schnitt.
    Er habe, sagte er, einen Fragebogen über meinen verrückten Panphobiker-Text angefertigt.
    Ich schwieg und inspizierte die Umgebung von P. Alles in Ordnung. Der Ara schlief, seinen Kopf unter dem rechten Flügel; ich deckte den Käfig ab. Yorick schlief nicht, sondern beobachtete Ohrensessel samt Inhalt.
    Es war sehr still. Die Reihenfolge der Ereignisse dieses Abends ist mir nicht mehr vollständig klar; mein Gedächtnis ist nicht mehr das alte. Wir saßen da herum, ich sehnte mich nach Einsamkeit und gedachte der schönen Stunden in meinem Edwardschen Ohrensessel mit guter Lektüre, Büchsenbier und Zigaretten, während mein schläfriger Schädel Namen und Begriffe wiederkäute: Kakerlaken … Tod … Mord … Gift … Gefühlsrohheit … auch Alexithymie genannt.
    Am besten ist es, diese Geschichte in Mikro-Episoden zu berichten, also in Etappen. Ordnung ist viel, wenn nicht alles.
    Als Passow seinen ersten Satz entließ – Du bist kein brauchbares Mitglied der menschlichen Gesellschaft –, kroch meine Elephanten-Schildkröte Melmoth aus der Dämmerung des nördlichen Verstecks ans Licht, um sich ihr Nachtmahl abzuholen.
    Urgroßvater Iron hatte sie als junges Tier auf einer der Galapagos-Inseln gefangen, sie war die Zierde des Privatzoos von Großvater Edward in England; kurz nach ihrer Ankunft riss ihr ein missgünstiger Mantelpavian das linke Vorderbein ab; ansonsten war Melmoth mit seinen über 120 Jahren ein gesundes und liebenswertes Tier voller Gedanken.
    Wenn er kroch, warf er den Kopf zurück und das rechte Vorderbein in die Richtung, in die er strebte; es sieht sonderbar aus, aber wir hatten uns an diesen Gang gewöhnt, Melmoth und ich. Melmoth der Wanderer musste die Kakerlaken-Familien überaus aufmerksam beobachtet haben, denn er teilte mit ihnen diesen wellenförmigen Gang.
    Was ist das?, fragte Passow bestürzt.
    Eine Elephanten-Schildkröte, sagte ich gleichmütig – und da kommt auch Yvette, genannt nach einer sehr hübschen Nutte aus einer Erzählung von Maupassant.
    Passow war irritiert. Irritation ist immer gut.
    Arthur, so höre bitte, sagte er, ich habe mir viel überlegt.
    Yvette, sagte ich, ist eine Pantherschildkröte; Melmoth und Yvette sind gute Freunde, sie haben nichts miteinander. Sie kommt aus Äthiopien; hinter den Bildern habe ich ihr eine kleine Savanne eingerichtet. Sie mag

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