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Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)

Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)

Titel: Traurige Therapeuten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingomar von Kieseritzky
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aber nur dann, wenn es um Sachverhalte mit einem gewissen Wahrheits-, Empfindungs- und Erfahrungswert gehe.
    Auch ihm gehe es um Sachverhalte, sagte Passow, aus diesem Grund müsse er seine Fragen stellen, denn er wolle mir ja nur helfen.

 
    26 In einem seiner Bücher sagt Putnam an einer Stelle (Titel vergessen wie so vieles), dass eine Krankheit ohne die sie zunächst definierenden Symptome auftreten kann; genau das passierte Passow, als ich ihm auf einem Plastiktablett eine kleine Kollation aus dem Kühlschrank kredenzte, reiche Alliteration, ist ein hübscher Zufall, nicht mein Verdienst.
    Auf kleinen Tellern mit Goldrand hatte ich Stillleben arrangiert: den Eiersalat, Alter unbekannt, zwei Scheiben Mortadella und ein Stück Brie in einem guten Reifezustand; auf Pumpernickel mit ein paar Einschüssen von Schimmel ruhten kleine Berge Thunfischsalat garniert mit Cornichons.
    Passow lobte alles und spülte es mit dem kostbaren Château nach. Leider gehört er zu den Leuten, die pausenlos Kommunikation wünschen, eine widerliche Gewohnheit.
    Mit vollem Mund fragte er tatsächlich, welche Personen meines bescheidenen Prosatextes autobiographisch, welche Ärzte oder Analytiker authentisch seien und wer vor allem die Person P. sei, dieser Bursche mit dem Vomitus hystericus.
    Das sei niemand anderes, sagte ich, als der Kunstkritiker Pohl aus Kassel, ein streitbarer Mann, aber voller ausgegorener Phobien gegen Künstler, moderne Kunst, gegen Tiere, Blumen und Frauen; da ließ er zu Lebzeiten nichts aus. Sein Ekel war angeboren; schon als Baby gab er geräuschlos alles von sich, womit er gestopft oder getränkt wurde; eine Naturbegabung, zwangsernährt. Probiere den Eiersalat, sagte ich, eine eigene Komposition.
    Später, später, sagte Passow schmatzend; der Kritiker lebe nicht mehr?
    Selbstmord, fabulierte ich, durch Alkohol-Abusus; der konsequente Mann wurde kurz nach der Wahl des dicken Pfälzers tot in seiner Wohnung gefunden, beinahe vollständig dehydriert und ausgestunken; ein trauriges Schicksal, aber immerhin selbstbestimmt bis zum würdigen Finale.
    Ich empfahl noch einmal den Eiersalat, den er wie die Schildkröten nicht zu mögen schien.
    Er könne diesen hypersensiblen Mann gut verstehen, sagte Passow mit zwei Cornichons in den Backentaschen; auch er sei extrem empfindlich, vor allem gegen Hunde, mit denen kein Verkehr wünschenswert sei. Freilich müsse er mit seiner Verlobten Olga Hunde in Kauf nehmen.
    Interessiert fragte ich nach der Race, weil ich das besetzte Wort Rasse vermeiden wollte.
    Die Race, sagte Passow ratlos, sei schwer festzustellen, ein großes Vieh mit langen schwarzen Zotteln und gelbschwarzen Stirnfransen und hintendran ein struppiger, immer schmutziger Schwanz. Gelbe Augen habe das Vieh, lecke viel sein Genital, und er müsse es mit Olga alle drei Stunden ausführen.
    Das hieße ‹Gassi gehen›, sagte ich als alter Kynologe. Ich schlug eine Aversionstherapie vor, Passow lehnte ab und rollte sich Mortadella um die Kuchengabel; den Eiersalat ließ er unberührt, so dass ich meine Hoffnung auf kombinatorische Agenzien setzte, wenn das der korrekte Plural ist.
    Das Schlimmste an dem Köter, sagte P., während er über einem Stück Brie meditierte, sei nicht seine Eifersucht oder das ewige Gassi-Gehen, sondern der Gestank aus dem Fang.
    Gegen die Kakostomie, sagte ich, empfehle der Ethologe und Verhaltenstherapeut Dr. Phil Benrath regelmäßige Zahnpflege mit Schlämmkreide und einen Zungenschaber; in seinem Standardwerk Du und dein Hund (bei Parey erschienen) beschreibe er im vierten Kapitel exakt alle Verfahrensweisen und Techniken einer rigorosen Zahnpflege.
    Soso, sagte Passow, das komme für ihn persönlich gar nicht infrage, ob mein Spezialist Benrath auch ein Mittel gegen den Fellgeruch verzeichnet habe.
    Man könne nachschlagen, sagte ich, aber 90 % aller Bücher ruhten noch in ihren Kisten; wenn ich einen Rat geben dürfe, könne man den Hund baden und ihn nach dem Bad mit einer starken Lotion einschmieren, vielleicht mit Veilchen- oder Fliederduft.
    Passow versank in einen langen oder umfangreichen Gedanken und mümmelte in dieser Sprechpause am Brie. Dann sagte er ruhig, wegen des Hundes leide er auch auf Grund und in Folge der Geruchs-Mixturen unter der Präsenz von Olga.
    Ich schlug gemeinsame Vollbäder vor, nur Olga und er, ohne Hund.
    Der Hund sei überall, sagte Passow. Es werde auch diese Beziehung so enden wie die Wiener Verlobung mit der geliebten Lenore.
    Ich

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