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Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)

Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)

Titel: Traurige Therapeuten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingomar von Kieseritzky
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vitalste Form einer Depression ist. Ach, ich habe noch immer nicht den ultimativen Cocktail bei so vielen ungelösten Fragen. Muss diese heiligen Definitionsprobleme nüchtern lösen, aber die Angst ist groß.
    11. Februar
    Endlich! Der ultimative Cocktail ist creiert. Das Gesöff ist so vehement, dass es alle Angst-Reaktionen komplett lahmlegt, man ist eine Zeit lang wie vor den Kopf gestoßen, bleibt aber recht aufnahmefähig. Eine schöne Reaktionshemmung tritt ein. Eine Postkarte von Hohensee ist angekommen. Er schreibt von seinem Kurort En Bobek am Toten Meer, die Handschrift ist so winzig wie Fliegendreck.
Lieber Arthur, 55 Grad Hitze, nehme jeden Morgen Solbäder, am Nachmittag liege ich wegen des Asthmas auf Salzhalden. Nächste Woche Therapie bei Dr. Fausi in der Klinik Sa’ada.
Dort komme ich Tag und Nacht unter eine bromidhaltige Dunstglocke, dazu gibt es eine Hydrolysat-Diät, scheußlich. Meine individuellen Unverträglichkeitsreaktionen haben sich leicht vermindert. Dr. Fausi sagt, mir fehlten (sic!) alle immunologischen Grundlagen. Immerhin haben hier die Umweltreize ein extrem niedriges Niveau, was gewissen Ausgleich schafft. Werde wohl für immer hierbleiben. Lese gerade eine Monographie über John Ruskin; dem ging es in der Hochzeitsnacht exakt so, wie es mir mit Linda erging – entsetzliche Angstlust beim Anblick des weiblichen Genitals, dann Ausschlag.
Viele Grüße aus En Bobek. H.
    Ich verbrannte die Karte für alle Fälle und wusch mir dann mit alkalifreier Seife mehrmals die Hände. Man weiß ja nie. Muss meine Reaktionsschemata in Relation zu den Alkohol-Dosen exakt aufschreiben; ist der Stupor erst einmal da, ist es meistens schon zu spät.
    Je höher die Dosis, desto betäubender die Wirkung, aber auch umgekehrt.
    Die Umgebung reagiert übrigens allergisch auf mich, man grüßt mich nicht mehr.
    Das ist ein Teilerfolg.
    12. Februar
    Schon wieder eine Postkarte von Hohensee.
Mein bester Panphobiker Arthur, habe entzückende Dame kennengelernt, sie ist Pflaumenatopikerin und hat eine chronische Schuppenflechte an der (unleserlich), ist aber eine Seele von Mensch, der tief empfindet. Hast du schon Deine wahren Anxiolytika gefunden?
Grüße vom Toten Meer, H.
    13. Februar
    Meine Cocktails sind die effizientesten Anxiolytika, die je ein Generalverstörter eingenommen hat. Freilich, dem Organismus soll’s schaden, aber gottlob hat die Leber keine Nerven wie unsereiner. Ja, die Nerven. Das Lesen fällt in diesem stumpfsinnigen Zustand auch flach, aber was soll’s. Was habe ich früher gelesen, massenhaft viel habe ich gelesen, auch Angst einflößendes Zeug, wenn ich so im Lektürekanon blättere, weil ich mir immer jedes Buch aufgeschrieben habe, den Titel und so was, wenn es erledigt war. Bilz habe ich gelesen, z.B. einen Aufsatz, der hieß: Die Intention zur motorischen Verkürzung und zur Elevation der Extremitäten im Angsterleben , das war vielleicht ein Aufsatz, niederschmetternd war der, andere wieder tröstlich und auch von Bilz wie der über den Vagus-Tod . Habe nachgeschlagen, der Vagus ist der Zentralnerv für alle Funktionen des Systems, und in Situationen auswegloser Angst unterbricht er alle Regulationen, so dass man nicht mehr funktioniert, d.h., man ist tot. Er beschrieb dann Experimente mit wilden Ratten, die sofort in einem tiefen Fass ertranken, weil sie merkten, dass ein Weiterleben keinen Zweck hat. Ja, das Sinnlose. Was habe ich früher gelesen, natürlich auch Sinnloses, wie den Psychoanalytiker Fenichel, und dessen Aufsatz hieß auch richtig und produktiv irgendwie: Die kontraphobische Einstellung , aber ich sollte ihn noch einmal nüchtern lesen, damit ich begreife, was er mit den vorphallischen Phasen bei der Angstproduktion des Subjekts meint. Angelica schenkte mir damals, vor dem elementaren Ausbruch ihrer Allergien, ein Buch von einem gewissen Riemann, das hieß: Grundformen der Angst , aus dem ich eigentlich nicht viel gelernt habe.
    Das Buch teilt die Subjekte in vier Typen ein – schizoide, depressive, zwanghafte und hysterische –, und ich hab eben leider von allen etwas, es ist ein Mixtum, hoffnungslos. Aber mir geht es blendend; im Mündlichen ist meine Elaborationsfähigkeit herabgesetzt, was soll’s, mit wem sollte ich schon reden. Bin jetzt ganz wunderbar abgestumpft, die Ängste sind weg; nüchtern sammelt sich dann wieder, besonders gegen Morgen, die alte hinterhältige Scheiße, dann muss ich ausspucken; zu fürchten ist freilich auch eine

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