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Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)

Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)

Titel: Traurige Therapeuten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingomar von Kieseritzky
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EHEC reichen schon 100. Auf Mallorca hatte es vor zwei Jahren 82 Touristen erwischt in einer hoffnungsvoll stimmenden Inkubations-Zeit von Stunden.
    Während ich den guten Eugen durch meine verschmierte Ersatzbrille (nichts als Flecken mit Regenbogeneffekten an den Randzonen) betrachtete, überdachte ich mögliche Kombinationen mit Hilfe anderer Viren oder Bakterien. Ich strengte mein armes Hirn an, das bedauerlicherweise keine lückenlosen Daten über Lebensmittel mit überschrittenen Verfallsdaten lieferte.
    Im Kopf stellte ich eine Liste auf – Passow hatte mich
    A: mit seinem idiotischen Gottes-Erlebnis gelangweilt,
    B: mit seinen amateurpsychologischen Blödheiten; hatte
    C: meinen teuren Wein vernichtet …
    Es war genug.
    Ein gewisser Jonathan Cruikshank hatte in Sensibility and sadism behauptet, Sadisten seien nur invertierte Sensibilisten; vielleicht hatte er recht. Im Glauben ausnahmsweise einmal fest, baute ich auf Passows Angst und seinen Abscheu vor Dem Tier.
    Mit wie vielen Tieren – lebendigen – ich im Augenblick traulich zusammenlebte, wüsste ich nicht; da seien die beiden alten Schildkröten, Melmoth und Yvette, der blinde Wright, der alte Yorick und einige Kakerlaken … Die kenne er ja schon.
    Passow zeigte keine Reaktion.
    Ich fuhr fort – viele Mäuse, eine Kolonie von Ratten, leider keine anderen Nagetiere; wie gern, sagte ich, hätte ich einen Wombat … sodann alle Sorten von Spinnen, gottlob keine Ameisen!
    Jaja, schon gut, sagte Passow, er habe jetzt einen Überblick. Arthur, in deinem Text Panphobie , da kommt ein H. vor, Atopiker, der auch an einem Rinophym leidet, was immer das ist, war dieser H. eine authentische Existenz oder eine Erfindung?
    Was ist schon authentisch hienieden, sagte ich, und er möge auf die Wahl seiner Wörter achten, jedenfalls hier und jetzt. H. sei das verschlüsselte Spätporträt eines alten Freundes.
    Ob der sich je von seinen Poly-Allergien erholt habe?
    Von Allergien erhole man sich selten oder nie, sagte ich.
    Es war still und friedlich bis auf das Rumoren in P.s Magen, es konnten auch Darmgeräusche sein, die da kollerten und gurrten, Borborygmen genannt; ich selbst litt mitunter daran.
    Die Höflichkeit ist ein Kunstgriff, den Gegner zu vernichten, sagte einmal ein erfahrener französischer Moralist.
    Ich dankte ihm für seine Frage nach der Identität von H., er habe mir damit herrliche Erinnerungen an bessere Zeiten freigesetzt; nach meinem Erlebnisbericht über frühe Allergien in einer Tierpraxis würde ich ihm mit Vergnügen einen vorzüglichen Eiersalat kredenzen, ja man könne sogar daran denken, eine kleine Imbissplatte zu komponieren, eine Kollation, wie man im 19. Jahrhundert gesagt hätte, Wurst, Käse, Krabben … Ich war die Liebenswürdigkeit selbst.
    Bei Aldi hatte ich vor einer Woche einiges Zeug an Aufschnitt im Sonderangebot gekauft; ich selbst ernähre mich aus hygienischen Gründen ausschließlich aus Büchsen…
    Vor mehr als dreißig Jahren bat mich Curtius, damals ein ganz normaler Allergiker, seine Praxis für verhaltensgestörte Kleintiere für eine gewisse Zeit zu übernehmen. Diese Verantwortung, Eugen, du machst dir keine Vorstellung.
    Das will ich auch nicht, sagte Passow.
    Ich sprach mit einem warmen Enthusiasmus.
    Passow hob einen Finger aus seinem explorativen Katalog.
    Arthur, fragte er, auf Seite 12 deines stark autobiographischen Textes – wie verlief deine Alkoholkarriere? Ich meine Alkohol systematisch einzusetzen, um die eigenen Ekel-Reaktionen herabzusetzen … Du lieber Himmel! Für eine verlässliche Betäubung und Abstumpfung gegen äußere Reize … das ist verrückt, das ist Wahnsinn.
    Mag sein, sagte ich, das war in den späten Neunzigerjahren; ich handelte mir bei meiner zweiten Alkoholkarriere einen stattlichen Selbstekel ein. Das sei alles, aber die erste Karriere mit Alkohol sei in der Praxis Curtius reine Notwehr gewesen. Er möge sich die Gerüche vorstellen, die Ausdünstungen der Angst der vielen neurotischen Tierhalter … die vielen Bazillen und die unzähligen Bakterien.
    Bitte, sagte Passow, exakte Fragen; exakte Antworten … Wann fing dein Abscheu gegen Menschen an, bitte Ort, Zeit und Konditionen, Genese und Verlauf.
    Er hatte meinen Text doch sehr gut gelesen, sonst hätte er seinen Wortschatz nicht so virtuos erweitert, wie aus der schönen Rubrik meines Lieblingsmagazins Reader’s Digest .
    Lieber Freund, sagte ich höflich, ich sei zwar bereit, selbst intime Fragen zu beantworten,

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