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Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)

Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)

Titel: Traurige Therapeuten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingomar von Kieseritzky
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Freund, der mich hoffentlich bald verlassen würde, abermals ohne Resultat würgte (vielleicht deshalb, weil der Eimer noch nicht Reichweite war), wurde es langweilig für mich so ohne positiven Verlauf. Ich hielt ihm Yoricks Katzenklo unter die Nase, in dem zwei wie Brezeln geformte, sandfarbene Würstchen lagen. Die Rechnung ging auf; bei Gott oder Hippokrates, der Vomitus ist ein Reflex. Der individuelle Geist kann nichts gegen ihn unternehmen.
    Man muss den Vomitus, also das Kotzen, nicht unter allen Umständen interpretieren; wenn der Mensch sich von innen heraus reinigt, ganz und gar purifiziert durch diesen Akt, kann er sich schneller erholen. Das ist in nur manchen Fällen positiv.
    Die entsetzlichen Geräusche Passows, als würde er gehäutet wie der heilige Pelagius, hatten meine Tiere aus Dschungel und Savanne gelockt. Die Schildkröten krochen gemächlich heran, Melmoth mit Yvette, Yorick erwachte auf dem Sekretär von Roentgen, hob die Nase und suchte mit einem eleganten Sprung das Weite, der Ara schrie Unflätiges, war aber wegen seiner Erregung zu keinem vernünftigen Sprechakt fähig.
    Ich verstand sie. Es war der Geruch, es war der sublime Geruch von Krankheit, der sie affizierte.
    Ich entsorgte, wie man neudeutsch sagt, die Klosettschüssel im Badezimmer mit zwei Mentholstöpseln in den Nasenlöchern – genug Tortur.
    Als ich zurückkehrte, saß Passow entspannt auf seinen Hinterbacken. Mein Nervensystem, wenn man das als System betrachten kann, war ernsthaft angegriffen. Ich verfluchte die Unzuverlässigkeit der dummen Salmonellen (oder Coli) und betete um die späte Epiphanie von EHEC.
    Mir geht es, sagte er, wieder besser. Danke für deine Hilfe.
    Ich resignierte nicht. Dein Magen, sagte ich überlegen, muss sich wieder erholen, vor allem die Schleimhäute, so ein Vomitus greife vor allem die Speiseröhre an, und ich wolle ihm meine Universalmedizin reichen, dann könne er sofort ein Taxi nehmen, um sich vollständig zu Hause zu regenerieren.
    Danke, sagte er, du hast deine Positivität und Humanempathie noch nicht verloren.
    Da entschloss ich mich zum letzten Coup.

 
    28 Vor 29 Jahren hatte mir ein anderer Freund, Vadim (inzwischen tot, Koronarthrombose), einen Brief geschrieben, den ich wie ein Attest in meiner Brieftasche hütete. Unter anderen, weniger bemerkenswerten Passagen über seine speziellen Leiden mit einer kapriziösen Dame hatte er geschrieben:
Lieber Arthur, nimm es mir nicht übel, wenn ich Dir sage, dass ich Dich für komplett verrückt halte, natürlich nicht in einem streng klinischen und damit therapierbaren Sinn. Ich weiß nicht, woher Du die Kräfte beziehst, Dir unaufhörlich neue, immer wieder wechselnde Aktualneurosen zu leisten; normale Individuen wären längst an Erschöpfung eingegangen.
Da ist Deine manische Tierliebe, typisch ist das Äquivalent: Dein Menschenhass als würdiges Komplement, natürlich versteckt, larviert; Du zeigst ihn nicht demonstrativ, darin besteht Deine höhere Schlauheit. Du hast Angst vor starken Frauen, bei Dir gut getarnt in charmanten Formen der gleichfalls larvierten Misogynie … Ich will nun beileibe keine Hyperinterpretation leisten, das käme mir als Freund nicht zu, aber bedenke bitte immer mal wieder, auf welche Weise Du Dein Leben vergeudest!
Du kultivierst egoistisch und egomanisch Deine Neurosen und Phobien unter dem Deckmantel der Hypersensibilität, wieder ein Modus der Larvierung!
In Wahrheit, dies bemerke ich aus klinischer Sicht, bist Du gefühlsblind, Du leidest (oder eben nicht!) unter einer Alexithymie, ein inzwischen weit verbreitetes Phänomen.
Ich möchte meinen kleinen Exkurs schließen.
Aus Dir wäre ein leidlich guter Schriftsteller geworden, wäre da nicht Deine elementare Antriebsarmut; Du wärest ein guter Maler geworden, dito.
Ich bitte Dich, höre endlich auf, deine krankhafte Idee zu pflegen, alles auf der Welt sei absolut sinnlos; übrigens kein origineller Gedanke.
Gehe hinaus in die Welt, Arthur, engagiere Dich, sei tätig.
Ich sage mit Plinius: Nulla dies sine linea!
Dein Vadim.
PS.: Sollten sich Deine ‹Leiden› verschlimmern, wende Dich an meinen Freund Dr. Spoerri in Davos, der ein guter und kompetenter Psychiater ist.
    Vadim hatte so unrecht nicht, überschaute aber damals nicht alle bestellten Felder meiner wohl angeborenen Indolenz; dennoch, der Brief ist ein kostbares Dokument und wird immerdar in meiner Brieftasche nahe dem Herzen ruhen.
    Die Linie war klar; Plinius hatte recht.
    Vor wichtigen

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