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Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)

Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)

Titel: Traurige Therapeuten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingomar von Kieseritzky
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sog. Neuen Sachlichkeit. Der englische Arzt wünschte ein Porträt inmitten eines Ensembles von Steckginster (gorse) und schottischem Heidekraut (heather).
    Singram lehnte ab, weil er ausschließlich Porträts von Tieren und nur ausnahmsweise auch solche von Leuten der Upper Ten herstellte, Kammersänger Leo Slezak z.B., Graf Balints Tochter im Negligé oder die entzückende Tochter Arthur Schnitzlers, Lily Schnitzler; das war sein Arbeitsmaterial und nicht ein Arzt aus England mit obskuren Ideen über Bachblüten-Konzentrate für oder gegen missliche menschliche Befindlichkeiten psychischer Natur. Doch Bach war hartnäckig. 1000 Pfund, sagte er bei seinem zweiten Besuch, Helene wieder abwesend. Singram, der meist lieber im Schatten junger Mädchenblüte malte, lehnte abermals ab.
    Die sonst tückische Tyche bescherte Bach einen hübschen Zufall. Maler Max S. hatte sich in eine russische Athletin verliebt, Madame Nazimowa, eine schwarze Schönheit, die häufig in Die Dame . Journal für den verwöhnten Geschmack in sportlichen Posen zu bewundern war, einmal ganz unwiderstehlich, stehend im Profil und die Arme mit schwarzen Hanteln definierend. So wollte sie Singram malen, wie er Bach erklärte, mit den schwarzen Hanteln, aber nicht im Profil, sondern en face auf samtgrauem Hintergrund.
    Leider verliebte sich Madame Nazimowa in die schöne Ballettratte Nijinsky oder seine Hasenpfote, die er im Schritt deponierte; aus der Sache wurde nichts; Max Singram suchte ein Gefühl heim, das der Befindlichkeit Nummer 27 des Bachschen Musters entsprach – Seelische oder körperliche Erschütterung noch nicht verkraftet, ein Zustand, der den Doktor entzückte.
    Der umsichtige Arzt mixte die zu No. 27 passende Essenz, in diesem Fall Star of Bethlehem (Doldinger Milchstern), und wie der Maler konstatierte, verschwanden alle Liebes-Symptome binnen einer Woche, und er konnte sich auf die nächste Aufgabe vorbereiten – das Porträt (im Profil) von Alma Mahler-Werfel, einer majestätischen Frau.
    An der Blüten-Therapie, sagte Singram zu seinem Ateliergast, ist was dran, mein Lieber. Wie ich Ihrem Prospekt entnommen habe, etablieren Sie 38 Zustände oder Schemata, von denen die meisten für mich zu simpel sind. Wir komplizierteren Naturen laborieren an ganz anderen Befindlichkeiten, Störungen und Irritationen, von denen der normale Sterbliche nichts weiß. Ich muss jetzt freilich die Große Dame aus Wien porträtieren, und das wird schwer. Wie soll man bei diesen riesigen Nasenlöchern und bei einem Kinn, mit dem sie vielleicht Nüsse für Franz Werfel knackt, ein schmeichelhaftes Porträt malen, wo ich doch dem veristischen Flügel des Neoklassizismus verpflichtet bin. Sollte ich diese Aufgabe mit Triumph erledigt haben, eine Aufgabe des Prometheus würdig, werde ich mit einigen noch nicht numerierten Zuständen individueller Befindlichkeiten nach England kommen, und ich werde Sie voller Freude und Elan unter Ulmen malen.
    Was meine Gattin Helene betrifft, übrigens eine geborene Aschrath-Borg aus Riga, so kann ich Ihnen keine Hoffnungen machen, sie gibt sich nur ‹geistigen› Männern, d.h. ‹arischen› Herren, hin. Als Antisemitin präferiert sie Offiziere, mitunter erhört sie auch mittelmäßige Dichter; schrieben Sie Gedichte über Blumen und Insekten, könnten Sie bei meinem baltischen Eichkätzchen – kalt wie ein Fisch – reüssieren, aber Sie werden nicht viel Vergnügen haben.
    Ich denke, ich bin ein geistiger Mensch, sagte Dr. Bach.
    Das könne er nicht beurteilen, erwiderte Singram, und sie, sein Eichkätzchen, wisse am allerwenigsten, was ein sog. geistiger Mensch sei.
    Darauf schlug Dr. Bach geistesgegenwärtig eine seiner Blütentherapien aus einer der 38 potentiellen Befindlichkeiten vor.
    Ach wissen Sie, sagte der Maler, meine kleine Gattin konsultiert seit Jahrzehnten eine Unzahl von Ärzten aller Art wegen einer Unzahl diffuser Beschwerden, die sie partout nicht verlassen wollen, so dass sie Ärzte schon lange nicht mehr zu der Klasse ‹geistiger Menschen› zählt.
    Bach dankte Singram für das ‹allzu veristische Porträt› von Helene, hinterließ seine Visitenkarte und reiste wieder nach Oxfordshire ab.
    Alma Mahler-Werfel schrieb aus Wien eine Postkarte:
Lieber Meister Singram,
Das Wehen der Neuen Zeit verlangt nach Reinigungen.
Die Villa Moll wird renoviert, was viel Seelenkraft abverlangt.
Die Ihre – Alma M.-W.
    Sie ließ sich dann, wie Singram später erfuhr, von dem damals bekannten oder

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