Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)
und meinem kranken Gast entfloh ein tiefer Rülpser, so recht von Herzen.
Hat schon vomitiert, sagte ich hilfsbereit. Sie musste ja zu einer korrekten Diagnose kommen.
Gutes Zeichen, sagte die Margoti, dann sei ja alles draußen.
Passow stieß wieder auf und machte dann unappetitliche Schmatzgeräusche mit den Mundwerkzeugen.
Bestimmt nicht alles, sagte ich.
Sie zog Passows linkes Unterlid herunter.
Alles paletti, sagte sie, der Mann müsse nur seinen Rausch ausschlafen.
Voller Hoffnung wiederholte ich wie ein Idiot meinen Salmonellenverdacht, ein bisschen E. coli-Infektion, nein?
Nein, sagte sie, das wären andere Symptome … aber der Herr müsse in eine horizontale Lage gebracht werden, ob ich denn irgendwo ein freies Bett hätte?
Ich war, das wusste ich, mitten in einem Impass, wie der Kenner zu sagen pflegt.
31 Ich resignierte.
Ich habe mich noch nie gegen Frauen wehren können.
Passow würde mein Heiligtum schänden, mein Dormitorium, meine kostbare, erlesene Winterschlaf-Versuchsanstalt, meinen herrlichen Locus amoenus, mein mit Kork gepolstertes Schlafzimmer, in dem mein Stryker-Bett stand, eine schöne Konstruktion von Schlafstätte; mit einem sinnreichen Hebel-Mechanismus konnte man die Matratze wenden für jede Saison.
Wir fuhren den Ohrensessel mit dem schlaffen Sack Passow durch die Westpassage zum Schlafzimmer; Großvater Edward hatte die Löwentatzen mit Gummirollen ausgestattet. Ich dankte Edward in Gedanken; was für ein vorausschauender Geist.
Die Ausstattung des 30-qm-Raums war schlicht, aber extrem zweckmäßig. Ich legte rasch eine alte, aber saubere Patchwork-Decke über das Bett, dann hievten wir den Schläfer mühsam in die horizontale Lage, die für seinen Zustand günstig war; und da lag er nun auf dem Rücken wie ein Toter, die Hände schlaff über den Genitalien.
So ein Schlafzimmer ist ein intimer Raum.
Frau Dr. Margotis Blicke wanderten; man hörte keinen Laut.
Ich dimmte die Nachttischlampe, um mein entweihtes Bett mit dem alten Sack nicht mehr zu sehen.
Gegenüber dem Bücherregal hing ein großes Blatt (Fabriano-Papier), in Format 60 × 70, auf dem ich die Winterschlafzyklen aller animalischen Schläfer gezeichnet und coloriert hatte, vom Grizzly bis zum Siebenschläfer.
Über dem Schreibtisch klebte ein anderes Blatt, gemalt von Sonja B., auf das sie alle Blumen und Pflanzen für die Bachblüten-Therapie gemalt hatte, von Agrimoni (oder Mennig) bis Willow (Weide) entsprechend den 38 vom genialen Dr. Bach (1886–1936) erfundenen Zuständen, von denen die meisten absolut trivial sind. Schöne Blüten der Befindlichkeit waren verzeichnet, z.B. seelische oder körperliche Erschütterung – dagegen empfahl der Doktor den Star von Bethlehem (Doldinger Milchstern).
Unter dem Schreibtisch hinter einem Gesundheitsstuhl entdeckte ich zu meiner Pein die geöffnete Holzschatulle, das Bachblüten-Set, ein Geschenk der Malerin und Heilpraktikantin Sonja. Die Verschlüsse der Fläschchen mit den Blütenessenzen sahen aus wie große rosige Brustwarzen.
Die Margoti war wohl irritiert, benahm sich aber ungeniert und betrachtete meine Exponate und Souvenirs mit diskreter Miene.
Soso, sagte sie, Bachblüten.
Die Hinterlassenschaft einer alten Freundin, sagte ich.
Ich hoffe, sagte Frau Dr. M., Sie glauben an diese Essenzen, wenn nicht, wirken sie nicht. Sie gehen zu Heilpraktikern?
Ich bin, sagte ich mutig, Heilpraktiker und Ethologe … per Fernstudium, lange her.
Ach so ist das, sagte die schöne Frau, das erkläre alles.
In meiner Praxis für verhaltensgestörte Kleintiere, sagte ich, tonisierte ich so manches niedergeschlagene Kleintier – Mäuse, Ratten oder Hamster mit Hilfe von Mimulus- oder Restchutnut-Extrakten.
Was Sie nicht sagen, erwiderte die Margoti.
Mein Vater, sagte ich, Max Singram, der Tiermaler … Sie werden ihn vielleicht dem Namen nach kennen, machte 1932 in der Grafschaft Oxfordshire die erfreuliche Bekanntschaft mit Dr. Bach.
Erzählen Sie mir mehr, sagte sie.
32 Während einer Stippvisite in Berlin hatte Dr. Edward Bach aus Oxfordshire den Porträtisten Max Singram bei einer Abendveranstaltung russischer Emigranten am Nollendorfplatz kennengelernt; unter dem Einfluss von Wodka verliebte sich Bach in Singrams Frau Helene, eine kleine, etwas anämische Schönheit, die gerade ihre Dissertation über Englische Tierdichtung abgeliefert hatte.
Ein Atelierbesuch folgte am nächsten Tag, Bach gefielen Singrams Arbeiten im veristischen Stil der
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