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Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)

Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)

Titel: Traurige Therapeuten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingomar von Kieseritzky
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Die Untersuchungen sind aber noch nicht abgeschlossen.
Bach war ratlos.
Ich weiß nicht, was ich von dieser Sache halten soll, sagte er, sie sei irgendwie unredlich und betrügerisch.
Mein Lieber, sagte ich (immer noch kurz vor der Abreise, die nicht recht zustande kam – hätte ich sie nur auf immer verschoben), Sie sind, wie ich Ihrer Vita entnahm, Physiker, waren Bakteriologe und Pathologe und sind jetzt ein Avantgardist der floralen Version homöopathischer Fortschritte – was sollen da die Skrupel.
Bach seufzte und sagte, Hindenburg sei Reichspräsident geworden. Ich solle mir doch sehr überlegen, ob ich nicht in Oxfordshire meine Zelte …
Vorher müsse ich zurück nach Berlin, sagte ich.
Hätte ich gewusst, dass mein Großvater Edward ein Jahr später überraschend in seinem Bett sterben würde, wäre ich geblieben; aber die Determinanten des Zufalls lassen sich schwer voraussehen.
Oxfordshire im Nebel, kein heller, leichter Nebel wie auf den Bildern von Lorrain, vielmehr ein feuchter, grauer, kompakter Nebel, der die Sinne betäubt.
Ich will nicht in England bleiben, ich will aber auch nicht nach Berlin. Ich will gar nichts; die Malerei – vor allem Porträts von irgendwelchen Leuten – geht mir maßlos auf den Sack, um es vulgär zu sagen, die Berliner Gesellschaft ödet mich an, die Kunst allgemein, die Sezessions-Allüren, die tausend dummen Rituale der Geselligkeit – muss noch mal Bach sprechen.
Ein Tag vor der Abreise nach Berlin.
Den Doc konsultiert; hatte ihm ausführlich erklärt, dass ich an einem veritablen Anfall von Schwermut laboriere, er verabreichte mir Rescue-Tropfen und Aspirin, dann gingen wir sein Porträt betrachten.
Sehr düster, sagte Bach.
Das sei so gedacht, sagte ich, der Nebel sei schuld und meine momentane Stimmung.
Kein Grund für Düsternis, sagte Bach. Er habe auf dem Porträt das Gesicht eines Vogels.
Das sei, sagte ich, der Einfluss des Studiums der Tier-Physiognomik De la Portas und Charles le Bruns, er habe Ähnlichkeit mit einem Käuzchen.
Wie sich dieses Porträt mit meinen Talenten als bedeutender veristischer Maler vertrage?
Überhaupt nicht, sagte ich, das sei ja die Pointe.
Bach als Käuzchen hatte einen wehen Zug um den Schnabel; das rechte Auge war größer als das linke; schöne, sorgsam mit Dachshaarpinseln gemalte Details, die er wohl bemerkte. Des Käuzchens Imago von Edward Bach leide unter Albträumen, sagte ich, das könne man den Augen ablesen; die Trauer um den Schnabel seien Symptome für innere Leiden, vielleicht Vorahnungen letzter Flüge in die Nacht.
Bach gefiel das Bild schon ein bisschen besser. Ich habe meinen Schülern in der Kunstakademie immer wieder eingeschärft, wie wichtig eine emphatische und kühne Interpretation der eigenen Bilder ist, sollte der Rezipient die Intentionen des Künstlers nicht kapieren.
An einem Fuß, sagte Dr. Bach, trage er Schaftstiefel, der andere Fuß sei nackt. Warum?
Das sei symbolisch gemeint, sagte ich; den Schaftstiefeln gehöre die Zukunft.
Bach war bestürzt.
Was der nackte Fuß zu bedeuten habe mit den einwärts furchtbar gekrümmten Zehen?
Ich sagte, die Bedeutung seines Fußes hätte auch ich noch nicht richtig durchdrungen, es stehe aber insgeheim alles im symbolischen Zusammenhang mit den Krallen des Käuzchens.
Bach war beruhigt.
Ja dann, sagte er und überreichte mir einen Manilaumschlag mit dem Honorar.
Wir schieden in Frieden; er bat mich zu bleiben; die Kühe im Nebel von Oxfordshire seien wunderschöne Motive.
Ein letztes Wort, lieber Dr. Bach, sagte ich an der Haustür: Der indische Guru Rama Krishna schrieb vor langer Zeit den Satz nieder – ‹Die Krankheit ist der Preis, den die Seele für die Besitznahme des Körpers zahlt.›
Das sei ihm zu tiefsinnig, sagte Bach herzlich, aber er versprach mir, darüber nachzudenken.

 
    33 Die Lage von Passow war unverändert; er wälzte sich in Albträumen auf meiner Bettstatt, schnarchte und atmete giftige Dämpfe aus. Die kleine Klimaanlage Mauser & Hauser vertrieb den Gestank von Alkohol und Gesamtkollaps.
    Die Margoti saß entspannt auf meinem Architektenstuhl (der Berichterstatter hockte am Fußende des Stryker-Betts) und schien über Bachblüten nachzudenken.
    Was machte Ihr Vater in der Nazizeit?, fragte sie plötzlich.
    O das, sagte ich, nun ja (beinahe hätte ich ‹well› gesagt wie in alten Zeiten), Papa Max Singram kehrte zurück und begab sich sofort in die innere Emigration, malte oder zeichnete nur noch Tiere, zog in eine kleine Villa

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