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Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)

Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)

Titel: Traurige Therapeuten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingomar von Kieseritzky
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berüchtigten akademischen Maler Prof. Essenther in lichten Farben aquarellieren.
    Das Bild heißt Morgenröthe .
    Als sich Helene, meine gute Mutter, in einen Assistenten von Prof. Magnus Hirschfeld verliebte, dem Gründer des Institutes für Sexualwissenschaft, verließ Max Singram Berlin und besuchte, bewaffnet mit seiner Reise-Staffelei, Dr. Bach in Oxfordshire, um den ingeniösen Blüten-Apostel zu porträtieren.
    Meine Mutter fand auf ihrem Nachttisch eines Morgens folgendes Billet:
Liebste Helene,
bin eine Zeit lang in England. Hoffentlich erfindet dein Sexualwissenschaftler aus dem brillanten Institut Griffe, die du noch nicht kennst.
Max.
    Leider hieß der neue Geliebte nicht Egon, sondern Elias, wie meine bedauernswerte Mutter entdecken musste, wie auch im Morgengrauen eines Stundenhotels am Savignyplatz die Tatsache, dass er beschnitten war; sie war so entsetzt, dass sie sich beinahe das Leben genommen hätte, aber sie lernte rechtzeitig Waldemar Bonsels kennen, den Verfasser der Biene Maja , einem Kinderbuch, in dem das liebe Vieh verständig, aber naiv parliert. Wäre ihr Suizid gelungen, ich weilte nicht in diesem Jammertal; keine Ahnung, ob Dankbarkeit dann eine Option wäre.
    Singram quartierte sich in Oxfordshire in einem kleinen Gasthaus ein und hielt täglich zwei Stunden, niemals mehr, Sitzungen mit Dr. Bach ab. Wenn er malte, hielt er alle Fortschritte mit penibler Schrift in seinem Tagebuch fest –
21. Februar (des Berichterstatters späterer Geburtstag)
Bach ist freundlich, hat aber als Sujet unverhältnismäßig große Ohren; wegen Haarausfalls ist seine Stirn hoch. Schlug vor, ihn mit Hut zu malen, aber er will ein wahrheitsgetreues Bild, was immer das in der Malerei bedeutet. Während der Sitzungen auf der Veranda – wegen des Lichtes – extemporiert er über seine merkwürdig blumigen Ideen. Erinnert ein wenig an den alten Hahnemann und seine homöopathischen Rezepte im Organon. Was die Erfolge mit ihren Konzentraten oder Verdünnungen betrifft, sind sich die beiden Scharlatane ähnlich – das Zeug, das sie da applizieren, nützt nichts, schadet aber auch nicht. Mehr kann man nicht verlangen.
Seine Reaktionschemata oder -muster (er nennt sie Gefühlsreaktionen) sind denkbar simpel ausgedacht und erinnern mich an die trivialen Fragen lebensdüpierter Leser an einen Briefkastenonkel einer Zeitung – so verschreibt er gegen Schnell entmutigt, enttäuscht oder niedergeschlagen Herbstenzian!
Mein lieber Bach, sagte ich eines Tages, Sie sollten einmal in einer ruhigen Stunde Ihre 38 Posten von Befindlichkeiten überprüfen und neu formulieren. Wir leben in Zeiten, die uns Schmerzen und Leid und Schlimmeres bescheren werden, gegen die kein Kraut gewachsen sein wird.
Sie haben recht, sagte der Doktor, die 38 Indikationen – ‹wenn das der Fall ist, nehme man› – seien noch sehr vorläufige; er habe in Berlin, inspiriert durch sein Attachment an Helene (er bitte um Pardon), eine neue Rubrizierung in sieben Stufen etabliert – in der gefälligen Form von Gefühlsgruppen –:
Angst
Einsamkeit
Gleichgültigkeit gegenüber der Umgebung
Niedergeschlagenheit oder Verzweiflung
Überempfindlichkeit und fehlende Abgrenzung
übermäßiges Engagement für andere
Unsicherheit
Ich malte gerade sein linkes Auge, das groß und dunkel auf mir ruhte.
Das Terrain der Empfindlichkeiten oder Beklemmungen sei unüberschaubar groß, so dass es vielleicht besser sei, eine komplette Symptomatologie zu verfassen über Krankheiten, ihre Symptome und die auf der verlässlichen Grundierung ihrer Substitutionen.
Bach griff diese meine kleine Kritik so an, dass er sich zurückziehen musste.
Ich ging spazieren; in dieser Gegend regnet es unaufhörlich, ist der Regen erschöpft, kommt Nebel auf. Beinahe wäre ich in einen grau-grünen Fluss gefallen.
Bei der nächsten Sitzung nahm ich mir die Ohren vor, die ich aus Höflichkeit kleiner machte.
Erst die Theorie, sagte ich, dann die Praxis, und er solle immer an den Dr. Freud denken.
Ja, Gott, ja, Freud, sagte er seufzend.
Ich entschloss mich zu einem Experiment. Er trug einen weißen Internistenkittel, und ich arbeitete an den Falten.
Mein bester Doc, sagte ich am Vormittag, ich falle mitunter und sehr plötzlich ohne erkennbaren oder ersichtlichen Grund in eine tiefe Traurigkeit, wie in einen Sumpf – was wäre in diesem Fall indiziert?
Wilder Senf, Mustard, sagte Dr. Bach prompt.
Das Konzentrat schmeckte angenehm neutral.
Spüren Sie, fragte Bach am Nachmittag, eine

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