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Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)

Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)

Titel: Traurige Therapeuten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingomar von Kieseritzky
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am Wannsee, führte, wenn er nicht malte, sein Intimes Tagebuch weiter – 26 in Wachstuch gebundene schwarze Notizbücher im Format DIN A 5 –, zeugte mich absichtslos mit Helene im Suff in den späten Vierzigerjahren –, kurz, er führte ein so eintöniges Leben, wie es dieser Bericht wohl auch sein mag.
    Tagebücher, sagte Frau Dr. Margoti, was für eine Idee.
    Die Singrams, sagte ich, haben immer Tagebuch geführt, es muss sich um einen genetisch bedingten Defekt handeln, der Antrieb war bei allen ununterdrückbar; Großvater Edward, Jäger, Ethologe, Zoologe und Kryptozoologe, war besonders fleißig – 30 fette Hefte, allein seine Diaries nach der Gründung seines Privatzoos in England – der Ort ist mir entfallen – füllen über 500 Notizen, Erzählungen und Miszellen, illustriert mit ungelenken Zeichnungen. –
    Wie werde ich Passow los?
    Ihr Freund und Gast schläft, sagte die schöne Margoti, morgen ist er wieder fit. Dann bat sie um Wasser; ich holte ihr ein Glas vom Château Margaux und brachte auch die Flasche mit, sie hatte ja Dienstschluss.
    Ich fragte, ob sie ihm nicht ein vitalisierendes Elixier injizieren könne.
    Nein. Sie trank, ihre Unterlippe wurde voll, darüber ihre dunklen Augen. In meinen Aufzeichnungen dieser trüben Nacht mit dem Lichtblick auf Frau Dr. Beatrice Margoti hieß es: Musste feststellen, dass sich ein matter Testosteronspiegel kräuselte; blöde Metapher, aber exakt.
    Dieser Passow, sagte sie, was treibt der beruflich?
    Im Augenblick, soviel ich weiß, nichts, aber früher hat er massenhaft viel gemacht … Schriftsteller z.B., misslang, weil er an den Höhen unserer Zeit scheiterte, zu Recht und legitim, denke ich; Erfinder, Devotionalienhändler in Wien, professioneller Verlobter, Laienprediger nach der Empfängnis eines Gotteserlebnisses beim Pinkeln auf der Halenseebrücke, im Augenblick, mir fällt es wieder ein, Sterbebegleiter oder etwas Ähnliches – das sind Passows Existenzen.
    Ein sympathischer Mann, sagte da die Margoti.
    Was Sie nicht sagen, erwiderte der Berichterstatter.
    Passow röchelte in einer Seitenlage, ging dann wieder zu seinem sonoren Schnarchen über, wälzte sich auf den Rücken und schwieg.
    Sagen Sie mal, Herr Singram, was hat es mit diesem hermetischen Schlafzimmer auf sich, wo – im Gegensatz zu diesem riesigen und stinkigen Dachboden – alles absolut clean ist, ja beinahe aseptisch.
    Ich suchte lange nach einer befriedigenden Antwort, einer, die nicht sofort die Küchenpsychologin hervorlockte.
    Wissen Sie, liebe Bea Margoti, sagte ich lässig, ich bin ein Schlafloser, der den Schlaf sucht.
    Ich habe mir dieses Zimmer – Sie sagten mit Recht ‹hermetisch› – als ein Dormitorium eingerichtet. Die Wände sind mit Kork ausgekleidet, das war sehr teuer. Das Bett lässt sich wenden, nein, vielmehr die Matratze – sehen Sie selbst.
    Die schöne Frau konnte mich gerade noch zurückhalten, sonst hätte ich Passow mit dem praktischen Hebelmechanismus hinter das Bett gerollt, wie es mein innigster Wunsch war.
    Es ist, sagte ich feierlich, die Idee des Winterschlafs vor dem ewigen, der mich unterminiert.
    Der Neurologe Sherrington erklärt, dass die Gehirnregion, die wir ‹geistig› nennen können, nicht die Konzentration auf einige Zellen bedeutet, sondern eine enorme Expansion auf Millionen von Zellen.
    Mein Hirn ist so beschaffen, dass es durch Alkohol und Schlaflosigkeit blöd oder benommen sein kann, aber eine Kette nützlicher Synapsen oder gütiger pontifikaler Zellen merkt sich alles, so dass ich später notieren kann, was so kommunikativ der Fall war oder gewesen sein mag.
    Soso, sagte Frau Dr. Margoti damals, Insomnia, auch Vigilia genannt; und was machen Sie dagegen? Nehmen Sie bloß keine Tabletten, Sie sehen ja ohnehin aus wie der noch aufgeschobene Tod.
    Ich dankte ihr für das Verständnis und trank einen Schluck vom Château Margaux wie Margoti, wie Bea –
    Geliebte Notärztin, sagte ich in meinem nüchternen Suff, zu Ihnen habe ich Vertrauen, ja, ich vertraue Ihnen. Sie sind schön, Sie sind analytisch, Sie trinken meinen Wein, alles in Ordnung. So muss die Welt sein (an dieser Stelle suchte mich ein hick up heim). Der Schlaf, sagte ich, hören Sie, veneriert er nicht alle Sterblichen, will man nicht schon zu Lebzeiten den Ewigen Schlaf, den zu finden uns allein die Velleität hindert … unser kraftloses, immer wieder vereiteltes Wollen? Wie sagte der Dichter Rilke, nein, Hebbel, in meinem Lieblingsgedicht – Schlafen,

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