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Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)

Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)

Titel: Traurige Therapeuten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingomar von Kieseritzky
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Schlafen, nichts als Schlafen, kein Erwachen, keinen Traum …?
    Zu meinem Leidwesen übersah ich (oder wollte es nicht sehen) ein kleines schiefes Lächeln an ihrem linken Mundwinkel, das mit ihren schwarzen Augenbrauen (weit oben) korrespondierte.

 
    34 Die schöne Notärztin in meinem Gesundheitsstuhl (verstellbar in alle Positionen beim Denken und Schreiben) sah mich an und sagte, ich sei in einem erbärmlichen Zustand – Sie haben, sagte sie, ein blaues Auge, Sie sind unterernährt, wahrscheinlich fallen Ihnen die Zähne aus, Haarausfall haben Sie ja schon … Sie riechen streng, – Stuhl?
    Ach so, sagte ich wie ein Blöder, der –, ich meine diese Sache, ja, selten und wenn, dann solala.
    Wie sind Sie, fragte sie mit klinischem Blick, in diesen Zustand geraten?
    Mea culpa, sagte ich, Lebensangst, Ekel vor Menschen … nicht allen! Sodann ein Cluster der Ängste uneindeutiger Zusammensetzung –
    Frau Dr. Margoti schloss ihre schönen Augen. Ich beeilte mich mit der nächtlichen Beichte; es war das erste Mal seit Jahren, dass mir eine weibliche Person aufmerksam zuhörte. Die Wahrheit, wie immer sie schillern mochte, musste ans Licht. Da sind zunächst, sagte ich, liebe, verehrte, schöne Frau, die Verlustängste im weitesten Sinn … die Frage, was aus den Kollektionen wird, die mein Großvater meinem Vater hinterließ und die jetzt hier sind – also ein ausgestopfter Schimpanse namens Jenkins im Frack, einst Butler bei Großvater Edward, der einen Privatzoo betrieb – eine hübsche Sammlung von Totenschädeln, alle beschriftet mit der sorgsamen Handschrift von Edward … z.B.: Schädel Dr. Stilton, seines Zeichens Bibliothekar, oder Schädel Dr. Mauser, Kryptozoologe, Entdecker einer thailändischen Hundeart, von den Eingeborenen noch nicht aufgespürt und in den Kochtopf geworfen, sodann der Schädel von Peltz, einem Balten, seiner Zeit 1880 weit voraus als Winterschlaf-Forscher, weiter – eine besondere Rarität aus der Sammlung Edward – das Gehirn von Bruder Joggers, Sportlehrer aus Deutschland, Zinzendorf-Kraft.
    Edward bewahrte es auf, weil es das kleinste Gehirn war, das er jemals einem Kopf entnahm – und es hatte einmal funktioniert! Sportlich jedenfalls.
    Ich merkte, dass ich allzu ausführlich mir wichtige Partikel ins Spiel brachte.
    Auf dem Boden war es still. Passows trieb sich in unruhigen Träumen herum und hechelte; ich wünschte, dass ihn eine Gruppe hungriger Löwinnen jagte. Die schöne Ärztin hatte die Augen noch immer konzentriert geschlossen; herrliche Wimpern, nebenbei bemerkt.
    Ich fuhr fort.
    Da sind, sagte ich in gebotener Eile, alle Tagebücher Edwards, die Tagebücher des genialen Pa Max Singram und die Tagebücher meiner lieben Ma; alle haben sie Tagebücher geschrieben wie die große Familie Tolstoj. Auf Jasnaja Poljana schrieb Leo Tagebuch, seine Frau Sophia schrieb Tagebuch, seine Gäste schrieben Tagebuch, und auch ich habe diese Manie geerbt, wo war ich, ja …
    Die Verlustangst, wohin mit dem Zeug nach meinem Tod … Liebe Beatrice, ich weiß nicht, ob Sie diese sozusagen thanatologische Atmosphäre gespürt haben … gemischt selbstverständlich mit den natürlichen Ausdünstungen der Tiere.
    Ja, meine Gefährten, die geliebten Tiere!
    Bei der trüben Beleuchtung werden Sie sie nicht bemerkt haben, da wäre ein blinder, extrem kluger Ara, zwei Riesenschildkröten, nein, lassen wir die Tiere.
    Freilich, was wird aus ihnen, wenn ich nicht mehr bin, wer wird sich kümmern, wer erbt.
    Ich habe keine Kinder infolge einer angeborenen Infertilität, einerseits gottlob, andererseits schade, wo war ich … Verzeihen Sie meine wilde Suada, aber schenken Sie mir noch einen Augenblick Ihr liebliches Ohr – ich bin bald am Ende. Ja, das Ende, das Finale.
    Ich kann nicht mehr außer Haus gehen, es ist mir physisch unmöglich. Futter für unser Habitat ließ ich mir von einer polnischen Putzfrau bringen, die leider wegen einer ausgeprägten Phobie gegen Schmutz vor einer Woche kündigte; nun lebe ich von den Beständen, viele Konserven, aber für die Tiere ist das auf Dauer nicht gesund, und auch mir bekommt es nicht. Sie könnten mich irgendwann sehr bald auf Skorbut untersuchen, was mir lieb wäre. Ich begebe mich voller Freude in Ihre erfahrenen Hände, liebe Bea, zu jeder Tages- oder Nachtzeit.
    Hin und wieder entfloh mir ein wichtiger Gedanke aus dem neuronalen Netz, aber ich hatte ja eine Unmenge von Gedanken, die alle herauswollten.
    Wo war ich? Bei dem folgenden

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