Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)

sagte ich, nehmen Sie den Stock in beide Hände, und legen Sie ihn quer vor Ihren Bauch. Nun stak der Baron am Stocke fest im Morast. Ich legte ihm nahe, nicht zu zappeln, und überdachte die Lage. Die war unangenehm für den Baron.
Man sollte sie ihm erleichtern, das schon.
Lieber Baron, sagte ich, legen Sie nur die Ellenbogen commode auf die Stockhülse, der Degen ist bei mir in Sicherheit. Der gute Strehlow keuchte ein bisschen und bat erneut um Hilfe. Ich besann mich der Singramschen Gastfreundschaft. Immerhin hatte mir der herabgekommene Adelige (Riga, ich wiederhole, falls ich es nicht notiert haben sollte) den ganzen Brehm am Kamin vorgelesen, und zum Teufel, mit einem sehr angenehmen, zum Vorlesen vortrefflichen Organ ohne die üblichen Härten, und er sprach alle lateinischen Termini korrekt aus; wir waren bis Band III vorgedrungen und würden, so die höheren Instanzen es erlaubten, bis Band IV vorstoßen, der mit den ‹Spähern› anfing, auch ‹Investigatores› genannt.
Hilfe, sagte der Baron, bitte.
Selbstverständlich, sagte ich, könne man Johnson heranpfeifen, aber er höre schlecht auf große Entfernungen. Ich wolle aber versuchen, die Brüder Tozzi (begnadete Gärtner) mit Hilfe der Pfeife heranzulocken.
Reichen Sie mir Ihre Hand, sagte der Baron, dann geht es vielleicht …
Lieber Egon, sagte ich herzlich, ich reichte Ihnen – wie schon so oft im Leben – gern meine Hand; allein, bedenken Sie, dass damit nichts gewonnen wäre, weil ich in den Armen und der Schultermuskulatur unter einer niederträchtigen Atrophie leide, so dass ich mehrere Optionen anderer Art ins Auge fassen muss, denn reichte ich Ihnen die Hand oder gar beide, verlöre ich das Gleichgewicht und leistete Ihnen unfreiwillige, ja in diesem speziellen Fall sogar unwillkommene Hilfe. Wir stäken beide im gleichen Sumpfloch. Um ihn aufzurichten, moralisch – meine ich, mitunter ist mir das positive Denken gegenüber Freunden nicht ganz fremd –, erinnerte ich ihn an unsere schönen Vorlese-Abende am Kamin mit Gin und Biscuit.
Den Brehm, sagte ich, haben wir erledigt, dann zwei Bände vom Buffon, die Essays von Scheitlin über Neuweltaffen und – nicht zuletzt – meines toten Vaters Abhandlung Der Zobel – Geschichte, Vorkommen, Jagd und Verarbeitung ; ja Iron Singram, der Pelzhändler war’s, der mit russischem Zobel den Grundstein zu einem Vermögen legte …
Man könnte pfeifen, sagte Strehlow, ihm werde kalt.
Pardon, sagte ich, ich pfeife.
Das Pfeifen hatte wenig Sinn; es war eine Hundepfeife, die ich benutzte.
Man höre nichts, sagte der Baron.
Abwarten, sagte ich, die Tozzis haben ein so scharfes Gehör wie Hunde; vielleicht höre uns auch der Leonberger.
Was für eine Lage, sagte der Baron.
Es dämmerte nun schon sehr stark, aber ich sah seinen weißen Bart sehr deutlich.
Ja, sagte ich, was für eine Lage; man könne sie weiter analysieren, aber es käme nichts Vernünftiges heraus.

 
    50 Diese Stelle greift mich immer wieder ans Herz.
    Angesichts einer ausweglosen Lage denkt und spricht Edward klar, vernünftig und positiv. Vielleicht doch eine gute genetische Erbschaft, die sich auch bei mir kraftvoll durchgesetzt hatte.
    Man muss die Lagen rechtzeitig erkennen und vorher mit allen Implikationen und etwaigen Folgen zerlegen, dann kann einem wenig passieren. Ich zerlegte mein Lebtag die schlimmsten Lagen erst dann, wenn ich mittendrin steckte, wie der Baron im Sumpf.
    Ich lauschte einen Augenblick den Nachtvögeln im Park des Sanatoriums, trank meinen Wein und las weiter.

 
    51 Mir fällt ein, sagte ich, dass ich Situationen abscheulich finde, die allzu symbolisch sind wie diese hier – sehen Sie, ich habe jetzt fünf Mal hintereinander gepfiffen. In Ihrer Lage, mein lieber Baron, fände ich es zweckmäßig, über ein Epitaph nachzudenken, für sich selbst natürlich, so leicht wiederholten sich so günstige Situationen nicht; in einer warmen Bibliothek ist’s schwer, würdige, von Thanatos beflügelte Gedanken zu fassen, hier müsse es einfach gelingen …
Hilfe, sagte der Baron matt.
Die Pauverté, sagte ich, ist meine Schuld, absolut, der Preis für meine Weltflucht, meinen Egoismus … ach ja. Diese meine Enklave geht erbärmlich unter, wir sind auf einem sinkenden Schiff oder auf dem absteigenden Ast, wählen Sie das Bild, das Ihnen behagt …
Im Augenblick keines, sagte Strehlow.
Verstehe ich gut, sagte ich; wo war ich? Richtig – meine Forschungen an den Tieren … sozusagen die Idee einer instinktiven