Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)
sagte der Baron mit ungewöhnlicher Beharrlichkeit und tiefem Ernst (mochte an der Überdosis Brandy in der Bibliothek liegen), in meiner Jugend fiel mir – als Forstadjunkt – eine Schrift des berühmten Forschers Nicolic in die Hände, sie lautete vollständig Untersuchungen über den Einfluss des Geschlechts und der Kastration auf die Erzeugung und die Qualität von Schweinefleisch. Ja, das war der Titel dieses Werks, das meinen Vater ins Unglück stürzte, damals in Riga, unweit der Düna.
Ich höre gern Geschichten über Missgeschicke, Schicksals-Fatalitäten, Unglücks-Fälle oder fehlerhaft gedachte Kalkulationen; die bringen einen auf den verlässlichen Boden der Tatsachen. Und die Tatsachen, meine Tatsachen – der ausgestorbene Zoo, die toten Biester auf dem Friedhof – (81 Parzellen in toto mit Stelen aus Stein, mit Epitaph garniert oder ohne) – die ganze blöde Misere …
What happened, fragte ich Strehlow, der das schwärzliche Moorbiotop argwöhnisch beäugte.
Nun ja, sagte er, der Verfasser der eben genannten Schrift, Nicolic, führt in Kapitel sieben aus, wie man Ferkel kastriert – nämlich mit einer Kneifzange, Modell Keyserling; auch die Methode war beschrieben … ohne Betäubung! Leider exekutierte mein Vater diese Operation an einem alten, impotenten, aber aggressiven Eber namens Siegfried, eine Kreuzung aus Pietrain und Bentheimer Landschwein.
Die Geschichte interessierte mich. Ich hab’s mal mit Wollschweinen versucht, aber –
Der Baron bat mich, meine Wollschweingeschichte später zu erzählen. Warum nicht; vielleicht war seine Geschichte gut.
Und so passierte es, sagte Strehlow – Papa näherte sich von hinten im Koben den Hinterbacken des Ebers, rutschte in den Exkrementen aus, fiel auf die Knie, die Kneifzange entfiel ihm, noch bevor er in der Gegend der Genitalien war, und der Eber drückte ihn mit der riesigen Körpermasse an das Gatter und biss ihn – ohne jede böse Absicht – in den Hintern.
Ich kannte einmal einen deutschen Cornwall-Eber, sagte ich, der über 200 Kilo wog, das ist kein Pappenstiel.
Ganz recht, sagte Strehlow, der Eber ließ sich auf meinen Vater fallen – Tod durch Ersticken, das stellte unser lieber Hausarzt Prus fest. Man hat den Eber Siegfried dann der irdischen Gerechtigkeit zugeführt, in den man ihn füsilierte.
Traurige Geschichte, sagte ich, ich gab den armen Schweinen vor den Kastrationen einen Eimer Stout, den sie wie nichts wegschlürften, worauf sie dann selig pennten; das war zu der Zeit, als ich noch Träume von Fleischverwertung auf dem freien Markt hatte; aber die Kosten-Nutzen-Relationen erzeugten keine Hausse. In diesem Augenblick schritt Franklin herbei, ein stattlicher Leonberger; es sind dies sehr freundliche Hunde mit stolzen Allüren, große Geisteslichter sind sie nicht …
49 Was zum Zerwürfnis zwischen dem Baron Strehlow und mir führte, war ein dummer Zufall, herbeigeführt durch zwei Handlungen. Nach seinem Bericht sagte der Baron:
Pardon – er müsse sich erleichtern – (er leidet an einer Prostatitis), holte sein Instrument aus der geräumigen Hose, bat noch einmal formvollendet um Pardon und pisste dann mit einem glücklichen Aufseufzen in den Morast; der brave Leonberger Siegfried suchte Kontakt zum Baron, stieß ihn kräftig mit der Schnauze in eine Kniekehle – sie sind wirklich nicht die Hellsten, diese Hunde –, und der Baron, noch immer auf seinem Blasenentlastungstrip, fiel strampelnd in den Sumpf. Damit grub er sich sozusagen eine Grube, in der er bis zur Hüfte verschwand.
Hilfe, sagte Strehlow zaghaft, bitte doch, Hilfe!
Das Moor umfing ihn weich, er konnte sich sogar um seine Leibesachse drehen. Das war nicht ungeschickt in dieser fatalen Lage, lavierte ihn aber tiefer in das Moorloch, aus dem Gluckern und Blasen nach oben drangen, als nagte die Moormasse voller Appetit an des Barons Extremitäten.
Es dämmerte jetzt; unter dunklen Wolken am Firmament sank die Sonne in einem sinistren Kupferglanz von gewisser Schönheit; manche Natureffekte haben doch viel für sich.
Der Leonberger verabschiedete sich verlegen. Ich nehme an, er wollte nicht zu spät zu seinem Rendezvous mit der Pudeldame Cordelia kommen, die justament heiß war. Auf seinen dicken schwarzen Pfoten trabte er im blauschwarzen Pelz davon.
Der Baron bat noch einmal inständig um Hilfe – ich reichte ihm den Stockdegen, den er freudig ergriff. Ich behielt den Degen in der rechten Hand; eine misslungene Hilfeleistung allererster Güte.
Pardon,
Weitere Kostenlose Bücher