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Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)

Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)

Titel: Traurige Therapeuten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingomar von Kieseritzky
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eine Lupe und ging.

 
    72 Am Schreibtisch im Schlafzimmer begann ich den ersten Liebesbrief seit 20 Jahren, natürlich ein Entwurf.
Verehrte, liebe Frau Dr. Margoti!
(Komma statt Ausrufezeichen; ist zu hysterisch)
Unsere Begegnung hat mich berührt.
Komma, nichts hat mich mehr berührt als unsere Begegnung.
Unser Zufallsrendezvous in der Nacht unter denkbar ungünstigen Umständen hat mich so affiziert, dass ich…
Ihr Besuch warf mich um, derlei erwartet man nicht von Notärzten!
Liebe Beatrice, meine Erwerbsbiographie ist eine billige, aber ich habe mich immer bemüht, den Mühen des Lebens und der Arbeit auf meine Weise gerecht zu werden; was mir fehlte, war eine Frau, die meine diffusen Bedürfnisse in jene Bahnen lenkt, die –
Liebe Frau Doktor,
Denke ich an jene Nacht, in der Sie meinen Freund Passow therapierten – wir saßen in meiner Schlafanstalt –, so bewahre ich in meinem sonst schlechten Gedächtnis doch einige Details an Ihre Schönheiten, während Sie meiner Erzählung nicht aufmerksam lauschten (wie ich dachte), sondern erschöpft vom Dienst am Kranken schlummerten … Ihre süßen und vollen, etwas bleichen Lippen unter Ihrer klassisch aquilinen Nase mit den erlesenen Voluten hätte selbst den heiligen Antonius zur Konversion gezwungen; die Königin von Saba wäre nichts gewesen gegen diesen Eindruck, während die Nacht über uns fiel, meine Tiere schliefen, alle Dinge schliefen, auch Sie!
Ihre klugen braunen Augen waren leider geschlossen, sonst hätten Sie die brennenden Liebespfeile aus meinen Augen (die übrigens grau-grün sind) auf Sie – Lippen, Nase, Augen und Ihre liebliche Stirn-Kuppel) bemerkt. Da bin ich mir ganz sicher. Der Physiologe Brennet, ein Freund (seit 1981 stationiert im renommierten Irrenhaus in Haar bei Göttingen) sagt in seinem Buch Physiologie des Geistes , erschienen bei Ambrosius Barth: «… dass, wenn sich potentielle Liebende begegnen, allein der Gedanke über das weitere Geschehen elementar entscheidet. Die pontifikalen Hirnzellen, korrespondierend über die Hirn-/Blutschranke zwischen Vagus, Darmhirn und der Zirbeldrüse (siehe Descartes!), senden nach dem simplen, dem menschlichen Geist eigentlich unwürdigen, aber zweckmäßigen Schema Sender und Empfänger telepathische Impulse aus. Sendet der Mann an eine Frau, die er begehrt, das volle Potential, wobei das Auge natürlich involviert sein kann, über die Kaudallappen auf das Objekt, sträuben sich seine Haare, die Drüsen beginnen zu arbeiten (die bartholinischen wie die cowperschen in toto), und die Subjekte verfallen einander, wie ich es in meinem Buch Clash and the human Situation ausführte.»
Liebe Beatrice Margoti, hätten Sie an jenem auch gefühlsmäßigen Abend nicht Ihre schönen Augen geschlossen, es wäre alles ganz anders verlaufen.
Liebe Frau Beatrice, liebe Frau Dr. Margoti – Wir müssen aus den Krankheiten, die unvermeidlich sind, das Beste herausholen – (Hamilton).
    Und das war die endgültige Fassung meines letzten Liebesbriefes – (den verrückten Brennet hatte ich getilgt):
Liebe Frau Dr. Margoti,
Sie haben Ihr Notizbuch bei mir vergessen.
Sollte es nicht in meinem sehr persönlichen Chaos
verschwinden (Todesfall, Umzug & andere Leiden),
holen Sie es bitte sehr bald ab. Sie sind eine gute Therapeutin!
Siehe Seite vom 19. April.
Ihr Arthur Singram

 
    73 Dann besuchte ich meinen Gast Schlitz, der versunken, die große Lupe in der rechten Hand, in meinem Ohrensessel saß und auf das Gemälde starrte; neben ihn hatte sich zu meiner Überraschung Kater Yorick in einer konversationsfreundlichen Haltung gesellt.
    Habe ihm gerade das Gemälde erklärt, sagte Schlitz, und ihn darauf aufmerksam gemacht, dass unter den 147 Tieren – ich habe gezählt – kein einziger Hund die Singramsche Arche besteigen durfte; sehr vernünftig, ich hasse Hunde … subalterne Geschöpfe, passen zu ihren dämlichen Besitzern … Singram hatte recht – ein Tier, das auch nur vorübergehend, wie bei dieser Sintflut-Legende, seine Fremdheit aufgibt, ist nicht würdig, in diesem Meisterwerk vorzukommen. Diese Peinture! Diese Lasuren – Sie verstehen etwas von Malerei, Arthur?
    Das war eine Frage.
    Lieber Mr Schlitz, Pardon, Aram – nicht die Bohne. Ich weiß nur, was gut ist und was nicht.
    Das reicht vollkommen, sagte Schlitz. Sie wissen wahrscheinlich nicht, welche Bindemittel und Pigmente Max benutzte –? Oder welches Material, welchen Stein als Anreibe-Platte?
    Nach der Klarheit der Farben, sagte er,

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