Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)
ich an diesem Tag im wie immer unentschlossenen April, zwei Zonen auf dem Dachboden zu etablieren – Wegzuschmeißendes und Aufzuhebendes, eine simple, binäre Operation von unangreifbarer Qualität, sozusagen nur ein Kreidestrich auf den rötlichen Holzdielen, die eine Trennung zweier Sphären bedeutete – zwischen dem Sinnvollen und dem Sinnlosen, zwischen nützlichen und überflüssigen Objekten, Exponaten, Relikten und sentimentalen Souvenirs.
Ich fragte die Schildkröten, deren Köpfe nur einen Augenblick aus den Panzern erschienen und sich dann gleichmütig zurückzogen – kein Salat in Sicht.
Ich konsultierte Yorick, der zu keiner vernünftigen Antwort fähig war. Verständlich in seinem Zustand; er hockte unter seiner schon lange erloschenen Rotlichtbirne und putzte sich unausgesetzt, vor allem die Schnurrhaare und die Augenbrauen – ein symbolischer Akt, er hatte keine mehr. Sah mich nur aus seinen gelben Augenmurmeln an.
Mit Wright hatte ich mehr Glück. Mein gegen die Welt, wie sie ist, animoser Ara öffnete ein blindes Auge, spuckte eine Erdnuss aus dem Schnabel, mit der er lange meditiert hatte, und hielt einen Monolog, dessen Grammatik zu wünschen übrig ließ. Seine Suada lautete ungefähr so –
Passe. Passez. Probat. Pardon. Probabilismus. Kuss. Fick die Tante. Alter Schisser. Ungewisser. Arschloch. – All allright –
Dann hustete er stark, wie nur ein Ara husten kann, ließ den Schnabel offen stehen wie ein Huhn, das den Pips hat, und fiel von der Stange in den Abfall (Körner und Kot) auf den mit einem Blatt Zeitung bedeckten Boden seines Käfigs.
Ich glaube nicht, dass eine Krankheit Wrights zum Tode führte. Ich legte ihn auf ein Kissen, lagerte ihn vorschriftsmäßig auf der Seite, bedeckte ihn mit einer Serviette aus Leinen und wusch im Badezimmer seinen Käfig. Hatte kein gutes Gewissen – ein Fall von Vernachlässigung.
Nach der Reinigung, Aktivität tat gut in der Situation, polsterte ich seinen Käfig mit einem Handtuch und goss in seine Trinkschale einen nicht eiskalten Champagner-Cocktail mit Eierlikör, der ein jedes Leiden mildert, gleichgültig, welcher Ätiologie …
Als ich Wright in den Käfig auf die Stange setzte, schwankte er wie ein Betrunkener, hielt sich aber eisern mit den Krallen fest in der Balance, in der er mühelos trinken konnte.
Labe dich, mein Bester, sagte ich, nichts als ein Schwächeanfall. Zwischen seine Lieblingskörner schmuggelte ich eine viertel Tablette Amitryptilin, den wahren Engel unter den Antidepressiva. Ach ja, mir kommen jetzt noch die Tränen.
Gut, er trank, der Cocktail schmeckte ihm, er verweigerte aber feste Nahrung. Nachdem er getrunken hatte, den bunten Kopf erhoben wie Homer, der nach dem mot juste sucht, öffnete er weit seine blinden Augen und den Schnabel und sagte zu mir (ich habe jeden Partikel notiert):
Ingram (er konnte kein S sprechen), bald exitu … gutes Leben, Gemüt im Eimer, ab dato Toten-Tod. Ubjekt wird Objekt. Ruhe im Karton. Cks!
Ich wusste, er wollte ‹Exitus› sagen – mitunter glückte ihm der Buchstabe X, dann musste er in heiterer Stimmung sein. E-, sagte er – Ekitüs, fin!
Nach dem ziemlich guten Nasal schloss er die Augen, seine Federn sträubten sich, und er fiel tot von seiner Stange oder fiel von seiner Stange und war tot, die Reihenfolge ist mir nicht ganz klar. Das war der zweite Tod nach Passows Mord an den Kakerlaken.
Für seinen Limbus legte ich den Leichnam in einen alten, ausnahmsweise leeren Karton, setzte mich in den Sessel und las weinend die alte Zeitung aus dem Käfig, auf der er sein Geschäft besorgt hatte.
Yorick kam vorbei und kondolierte kurz. Katzen lässt der Tod kalt.
Als der Naturforscher de Baron (nach Edwards Diary VI Rachegedankenbewusstsein bei Tieren ) während eines Mittagsschlafs den Geist aufgab (1889), erwischte seine Haushälterin einen Kater namens Sue (Katzen hören gern auf Laute mit S) dabei, wie er mit Genuss an Barons Zunge kaute, die der Gelehrte in der Agonie zuletzt der Welt gezeigt hatte.
Ein klarer Rache-Akt, schrieb Edward befriedigt, hatte de Baron doch dem armen Vieh die Schnurrhaare abgeschnitten, um zu beschreiben, wie tölpelhaft sich eine Katze ohne Tastsinn in der Welt benimmt. Eine schöne Ausnahme!
70 Als ich das schmutzige Kotblatt las, Rubrik Kunstmarkt, fiel mir eine Annonce auf: Biete Vorstudien des Malers Bassano zu seinem Bild DIE ARCHE NOAH gegen Höchstgebot. Chiffre etc.
Wäre Wright nicht plötzlich, unerwünscht und
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