Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)
unerwartet dahingegangen, hätte mir der Zufall nicht meine glorreiche Idee beschert.
In einer überregionalen Zeitung annoncierte ich noch am Tag des Todes von Wright – einem traurigen Montag –:
‹Sammler bietet verschollenes Gemälde mit epochalem Anspruch: Max Singrams ARCHE NOAH, 1942. Besichtigung nach Vereinbarung. Legende und Provenienz vorhanden. Chiffre etc.›
Am Mittwoch fand ich im Briefkasten eine Epistel folgenden, recht hoffnungsvollen Inhalts:
Sehr geehrter Herr,
bin am Œuvre Max Singrams sehr interessiert, vor allem an der Arche Noah ; sammle auch Zeichnungen, Lithographien, Gouachen oder Feder. Schicken Sie bitte Ihre Adresse an das Hotel (s. Briefkopf.) Will Sonntag 11 Uhr bei Ihnen erscheinen. Berlin an Wochentagen ist nach Mauerfall unerträglich überlaufen. Gruß, A. Schlitz.
Ein Sammler, der wie das amerikanische Bier hieß, erweckte Hoffnung in mir. Vielleicht ein Millionär?
Ich ging ans Werk, nachdem ich zwei alte Fluprim mit Coca-Cola geschluckt hatte, nach meiner Erfahrung der reine Energie-Dope; in der Zeit des Finales war ich süchtig nach dem Zeug. Im harmonischen Einklang aller meiner Kräfte bestellte ich eine alte Freundin – Sport, Rudolf Steiner, später Zen-Shiatsu (sie hatte Muskeln wie ein Boxer, die sie, wie ich noch später erfuhr, spirituell atmen ließ), denn ich wollte Papas Arche Noah in einem würdigen Rahmen präsentieren.
Am Donnerstag erschien die Zen-Athletin; sie hieß Jutta und sah (wir danken alle Buddha) mehr nach einer Anabolika-Kur aus, als nach Shiatsu-Versenkungen.
Lang’ her, sagte sie, ich sähe ja beschissen aus – und ob ich etwa mit ihr schlafen wolle.
Wo sie bloß hindenke, sagte ich, kraft meiner Impotenz führe ich ein rein spirituelles Leben voller Tee und Kontemplation.
Da lächelte im muskulösen Körper ihre Seele.
Zuerst desinfizierten wir meine Schlafkammer, die Versuchszelle für den Winterschlaf, und stopften die Waschmaschine (sie hieß Ophelia) mit Laken und Bezügen. Ophelia (eine geborene Miele) war gutwillig, wollte aber nicht überfordert werden. Ich hatte sie immer mit Zartsinn behandelt, d.h. selten benutzt.
Ich stählte mich noch einmal mit einer Doppeldosis Fluprim, bevor ich das Totenhaus nach Überlebenden absuchte.
Fluprim Roche H71
Zus.: 1 Dragee: 10 mg Dextromethorphan-hydrobromid, 5 mg Phenindami-tartrat, 5 mg Ephedrinhydrochlorid, 200 mg Salicylsäureamid, 2000 I.E. Vitamin-A-Acetat (Arovit) und 50 mg Vitamin C (Cedoxon)
Ind.: Prophylaxe und Therapie von Erkältungskrankheiten; grippale Infekte, Katarrhe der Atemwege. Schnupfen mit den Begleitsymptomen Husten, Schleimhautschwellung, Fieber, Kopfschmerzen, Gelenk- und Muskelschmerzen.
Dos.: Erw. je nach Bedarf 1–3-mal täglich 2 Drag. unzerkaut mit Flüssigkeit nach dem Essen.
Im Schleudergang stieß Ophelia Laute aus, die wie Hamlet-Hamlet klangen; bei 1000 Umdrehungen machte sie einen kleinen Luftsprung und blieb stehen, bis man sie entwässert hatte; keine Ahnung, was sie sich dabei dachte.
Während Jutta das Ihre tat, entdeckte ich auf meinem Schreibtisch ein schönes Souvenir – das Notizbuch der schönen Notärztin Beatrice Margoti; ich schlug nach und fand Eintragungen aus der schlaflosen Nacht:
«A. Singr. Netter Psychopath, leidet unter Messie-Syndrom, Früh-Senilität und traurigen Zuständen.»
Ich seufzte; sie soll nicht recht behalten! Nein.
Es war prachtvoll, eine Frau von Juttas Kaliber beim Arbeiten zu beobachten.
Wir müssen, sagte ich nach einer Pause, den Dachboden clean machen, am besten wäre es, alle Objekte, die Kisten, die Kasten, die Kartons und die Exponate, in zwei Haufen aufzuteilen – ein Haufen links – Wegzuschmeißendes, ein Haufen rechts – Aufzuhebendes. Natürlich leide ich nicht unter dem Messie-Syndrom; ich hänge nur an ein paar Dingen meines Lebens.
Ich will nicht ins Detail gehen.
Besitz, sagte Jutta, sei für die Seele eine Belastung.
Ohne Frage, sagte ich.
Nach vier Stunden hatten wir vier Haufen, die noch einmal überprüft werden sollten.
Links war eine Riesengalerie ausgestopfter kleiner Tiere, die mein Vater für Vorstudien zur Arche gesammelt hatte; dahinter wälzten sich die vielen Totenschädel von Tieren aus der Sammlung Edwards, und im Gelände rechts stapelten sich Bücherkartons und in der Mitte ein Turm kleiner Kartons, Inhalt unbekannt. Auf dem Sekretär von Röntgen hockte der sehr interessierte Yorick, der erst floh, als wir das schwere Möbel verrückten. Ach, wir verrückten viel
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