Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)
Täuschungen, Blödheiten aller Art in Serie – was der Mensch sich merkt, das sind Niederlagen, und die allein sind real, sonst zählt nichts. Herr Prussac, erzählen Sie bitte Ihre Geschichte – sie ist lehrreich, lieber Singram, bitter und süß. Herr Prussac besiegte durch die Fixierung seiner Biographie, die er endlos und mit Variationen, Textvarianten und neuen Lesarten repetieren kann, seine Grundmigräne. Ein sehr bemerkenswerter Fall, der selten in der Psychopathologie verzeichnet worden ist. Pardon, ich drücke mich zu klinisch aus – ich brauche eine Karaffe Pflümli –, Sie halten doch mit, mein lieber Michel.
Avec plaisir, sagte Herr Prussac.
Doktor, sagte ich, mein Gedächtnis – es flieht mich.
Unsinn, sagte Spoerri, es entlässt Sie – ich müsse das als ‹Entlastung› akzeptieren.
Die Getränke wurden serviert.
Prussac öffnete die sensiblen Lippen und sah in seine Vergangenheit.
Ich war, sagte er mit warmer Stimme und leichtem Akzent, Beleuchtungs-Ingenieur bei allen großen Filmen dieser Welt … bei de Santis, bei Visconti –
Sehr gut, sagte Spoerri und streichelte Prussac über das lichte weiße Haar; – ich besiegte seine Migräne, lieber Singram, und damit seine Gedächtnis-Ausfälle durch die Fastenkur à la Plötz und barfuß, dies nebenbei. Fahren Sie bitte fort, Michel, der Anfang war gut, aber lenken Sie doch bitte Ihre Erinnerungen auf die Damenwelt.
Bon, sagte Prussac, gern.
Ich merkte schon als Kind, dass mich die Frauen lieben, und ich liebte sie voller Kraft zurück … élan vitale!
Die Erste war Silvana Mangano, und wir liebten uns in Bitterer Reis . Es war eine große Liebe, ein Coup de Foudre.
Dann meine erste ganz große Liebe, Mylène Demongeot, eine Affäre, die bis Monica Vitti anhielt.
Ihr folgte an einem schwülen Tag in Rom Rossana Schiaffino, bei der mich zu meinem Leidwesen Laurent Terzieff ausstach. Er rettete sie nicht vor dem Abstieg; ich hätte es gekonnt.
Na, na, sagte Spoerri, bitte keine Erfindungen spekulativer Natur, mein Bester. Wir wollen doch bei der Wahrheit bleiben.
Elke Sommer ließ ich aus, die Filme genügten nicht meiner Kunst der Illumination, sagte Michel.
Ein sehr sympathischer Casanova.
Leider entging mir die herrliche Ulla Jakobsson in Sie tanzte nur einen Sommer von Arne Matson 1951. Dann drehte ich mit Truffaut Tirez sur le pianiste – Michele Mercier war ein Erlebnis, das ein Mann nur einmal im Leben … Wir arbeiteten dann noch bei Jules et Jim zusammen, aber die Moreau reizte mich nicht – enfin –, zu meinem Leidwesen entging mir Jean Seberg … ich litt damals an einem Herpes simplex am Sack.
Bitte, bitte, sagte Spoerri, wir hatten vereinbart, dass Sie an dieser Stelle ‹Skrotum› sagen.
Pardon, sagte Prussac, diese Fastenkur erzeugt Vulgarität.
Neunundfünfzig im Mai drehte ich mit Thiele. Nicole Badal war eine Schönheit, vielleicht die Schenkel ein wenig zu rund, aber sonst makellos, vor allem die Unterlippe. Ja, es sind die Lippen, es ist der Mund, an diesen Details hängend, wird der Mann zum Maniak.
Herr Prussac, sagte ich voller Achtung, ich bewundere Ihre Karriere –, wie ging es bitte weiter, z.B. mit Gina Lollobrigida … die mich im Glöckner von Rotterdam sehr affiziert hat –
– Nein, nicht Rotterdam , sagte Prussac, St. Èglise –?
Notre-Dame , sagte Spoerri.
Bien égale, sagte Prussac, sie wäre mir lieber gewesen als Sophia, aber, merde alors, die italienischen Stars sind alle Zicken, Pardon, mediterrane Schnecken – ganz anders als die Engländerinnen und die Amerikanerinnen, was für eine Klasse. Ehe ich Leslie Caron liebte, bei einem Film von Forbes Das indiskrete Zimmer , liebte ich Kim Novak, in welchem Streifen ich sie illuminierte, kann ich nicht mehr erinnern. Ja, ich war ein Glückskind, eine von den Göttern der Liebe und der Schönheit privilegierte Existenz. Monsieur Monod sagte mir einmal – dieser berühmte Philosoph –, die Liebe sei Zufall und Notwendigkeit; diese Sentenz begleitete mich bis zur Affäre mit der Dame Ruquette, deren Vornamen ich vergaß …, aber diese Frau, cette femme, diese Göttin, sie schaffte mich … Sie verfügte über einen genialen Genitalapparat, mit dessen Hilfe ich die höchsten Gipfel der Lust erklomm – war das korrekt?
Spoerri griff wieder ein und sagte, sein Imperfekt sei gut gesetzt, aber er solle die Obszönitäten lassen.
An der Stelle, sagte Prussac mit großen Augen, war ich ja noch gar nicht. Sie war unten rasiert, wie sagt
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