Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)
zweifelhaften Beipackzettel, den Sie lieber nicht lesen sollten; der Nebenwirkungen sind nicht so übermäßig viele.
Die Bemerkungen Spoerris kamen mir seltsam vor, vielleicht Pfümli-indiziert. Aber da ich Therapeuten rückhaltlos bewundere, hörte ich ruhig zu.
Sie waren bei den Nebenwirkungen, sagte ich.
Ja, die, sagte Spoerri, ich muss gleich ins Souterrain, die Nahtod-Gruppe feiert heute einen Geburtstag mit der Adipositas-Gruppe. Wissen Sie, gruppendynamisches Verhalten war mir immer ein Rätsel – ich setze auf das kranke Individuum, wo war ich?
Nebenwirkungen, sagte ich, von Subtranzo.
Keine Ahnung, warum er das so genannt hat, sagte Spoerri – ja Flatulenz, dann Durchfall, danach Ruhe ohne Kopfschmerz. Guten Tag. Der Michel ist schon seit 15 Minuten auf der Toilette. Muss helfen. Auch so ein Syndrom. Helfen, immer nur helfen. Mir hilft kein Schwein.
Was denn Prussac auf der Toilette mache, fragte ich; vielleicht ein Leidensgenosse beim Pinkeln, ein Bruder in Prostatitis. Man könnte sich austauschen.
Das Übliche, sagte Spoerri, er stehe und sinniere vor dem Becken La Rochefoucauld, in der Hand sein bewährtes Instrument, und sage die Namen seiner Göttinnen auf, von Emma Bovary bis Liz Taylor; wolle es gar nicht tröpfeln, bete er innig zu Greta Garbo.
War das nicht vor seiner Zeit, fragte ich.
Fragen Sie ihn selbst, sagte Spoerri, schöne Geschichte. Cecil Beaton spannte sie ihm in einem Fahrstuhl im Plaza aus.
Wie alt ist Monsieur Prussac, fragte ich den Rücken von Spoerri.
Er wird morgen 91, sagte er über die Schulter, besorgen Sie doch im Souvenirshop ein schönes Präsent für ihn; er wird es Ihnen mit seinen deutschen Affären bestimmt danken – Affären mit Sonja Ziemann, eine herrliche Frau nach seinem Bericht, O.W. Fischer nahm sie ihm weg oder Heinz Rühmann, ich hab’s vergessen, und dann Marion Michael, das Dschungelmädchen, oder Ingmar Zeisberg und Ruth Leuwerik. Und fragen Sie ihn, warum er niemals in Holland einen Film illuminierte, wenn das der exakte Ausdruck ist. Und kommen Sie morgen zum Lichtbad mit dem Heidi Glock. Servus.
Dr. Spoerri, sagte ich nervös, hilft denn diese Evokation von Namen und Situationen bei Verhalten und der ewigen Tröpfelei und verstocktem Restreservoir.
Keine Ahnung, sagte Spoerri, noch nie ausprobiert, wäre doch einen Versuch wert.
Funktioniert es denn bei ihm?
Ich weiß es nicht, sagte Spoerri, mir halb zum Abgang zugewandt. Ein guter Arzt muss immer wissen, was er weiß und – mehr noch – was er nicht weiß, das ist Ethos! Das ist die Idee vom alten Hippo – immer zu wissen, was man nicht weiß. Ich weiß es nicht, weil ich selten auf Patiententoiletten das Wasser lasse.
Ich begleitete den fürsorglichen Doc zum Ausgang.
Wenn man, sagte ich, beim Wasserlassen unter den bekannten öden Konditionen leide, könne es dann nicht sein, dass die Evokation eines geliebten Frauennamens – also Ulrike, Uta, Karin oder Beatrice – allein in der Vorstellung eine Erektion hervorrufe, die das Pinkeln zum Scheitern brächte?
Nichts ist unmöglich, sagte Spoerri streng, dazu sind wir Therapeuten ja da, nicht wahr, oder?
78 Der Kater hatte sich in den letzten vier Jahren neunmal aus dem Staub gemacht, immer heimlich und über die Treppen; nur einmal benutzte er unbemerkt den Lastenfahrstuhl, als mir der Postbote eine falsch frankierte Sendung retournierte.
Yoricks Freiheitsdurst war unermesslich, vor allem Ende April; Hormonchaos ist anzunehmen.
Um mich für einen Spaziergang zu wappnen, schluckte ich meine Pillen und Filmtabletten, das famose Fluprim, für alle Fälle Aspirin, das milde Amitriptylin und endlich, o help me, please doctor, 40 mg Pantozol.
Vielleicht finde ich ihn auf dem Friedhof Grunewald, einem idyllischen Ort, an dem Yorick schon manchen Liebeskampf auf stummen Gräbern und Grabsteinen bestanden hatte; lädiert und stinkend kehrte er dann zurück.
Liebe, dachte ich an jenem frühen Abend, lädiert wahrscheinlich immer; muss ein Gesetz sein.
Während mir diese Art Tiefsinn durch den Schädel ging – Leben, Liebe, geile Kater und die X-Beine der Notärztin –, wusste ich noch nicht, dass ich die Pillen verwechselt hatte; statt Pantozol hatte ich 100 mg Viagra im Leib.
Hin und wieder lockte ich Yorick, komm her, lass dich nicht bitten. Hinter einem Buchsbaumgestüpp rief ich: Pussy, Pussy, weil Katzen S-Laute mögen; eine alte Dame begoss gerade ihren Gatten unter Vergissmeinnicht und Tausendschönchen, ließ die
Weitere Kostenlose Bücher