Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)
des indischen Patienten.
Was soll er denn sonst noch haben, sagte er, wenn sein Karma weg und futsch ist …
Was für ein Abend.
Die Forelle hatte viele Gräten; im Schädel war alles ruhig, nur der Tinnitus klingelte beharrlich.
Sehen Sie unauffällig zum Tisch 12, sagte Spoerri, das ist Herr Beaumont aus Dornach, Anthroposoph; der kannte noch den berühmten Rittelmeyer, ein spiritueller Lyriker von einsamer Klasse, und Beaumont schlug eines Tages die Idee der sogenannten Verstandes-Seele auf den Geist … die Folge, ich sage es deutlich – eine migrierende Migräne vom Kopf bis zu den Füßen; wobei – er hob seinen dicken rechten Zeigefinger –, wobei ich nicht der Theorie meines Kollegen Aebersoll aus Bern folgen mag, der ernstlich behauptet, alle Schäden, Syndrome, Morbi, Phobien und Allergien gingen allein von den Füßen aus. Nun ja, er wandelt auf diesem Irrpfad schon lange ohne Fußschmerz oder andere Malaisen und verdient damit in seiner Klinik unverschämt viel Geld – aber er irrt, er liegt falsch, denn alle Leiden gehen vom Kopfe aus, wie man unschwer an Herrn Beaumont demonstrieren kann; während seiner Migräneanfälle – das stellte sich bei der ersten Exploration heraus – erlebt er taghell wie in einem Wachtraum unaufhörlich die Faust-I- und II-Aufführungen in Dornach.
Kenne ich, sagte ich erschüttert, hat er die Anfälle danach, oder lösen die Faust-Spiele selbst den Anfall aus.
Das weiß ich doch nicht, sagte Spoerri gekränkt, ich verabscheue Theater, nichts als dummes Geschrei, pfui Teufel. Es gibt nur ein Stück, das ich schätze, das ist von Jules Romains; mein lieber Vater sah 1923 die triumphale Premiere dieses Textes und brachte mich so auf den rechten Weg.
Es war Knock oder der Triumph der Medizin und wurde über tausendmal aufgeführt, ein Dreiakter; seine grundstürzenden Erkenntnisse haben weltweit mehr Ärzte und Therapeuten beeinflusst, als der Laie denkt.
Die Grundthese ist die folgende, sagte Spoerri, kein Mensch ist so gesund, als dass er – bei ausführlicher Diagnose selbstverständlich – sich nicht in einen Patienten verwandeln ließe; man muss nur die Auspizien deuten … oh, sagte er, Obacht, da kommt die Gruppe des Kollegen Häberlein, das sind lauter Leute, die an den Folgen ihrer Nahtod- oder Jenseitserfahrungen laborieren, Sie wissen schon – dunkle Tunnel und am Ende das ominöse Licht sage ich, der Häberlein aber behauptet, es sei numinos, ein ewiger Streit zwischen uns.
Und die Therapie, fragte ich.
Dem Kollegen, sagte Spoerri, sei noch keine kohärente eingefallen, zumal die Gruppe nicht mit homogenen Erfahrungen aufwarten könne. Der eine Teil bestehe leidenschaftlich auf der Tunnelmetapher, der andere auf der Röhrenmetapher; halt ein scholastischer Konflikt, aber eigentlich sei für eine stimmige Behandlung Tunnel oder Röhre doch Jacke wie Hose. Häberlein habe – bis zu ihrem Ableben – mit der Expertin Kübler-Ross korrespondiert.
Worüber, fragte ich.
Nun, das Röhren-Tunnel-Problem, sagte Spoerri, und natürlich die Licht-Effekte am Ende, in Lux gerechnet, halt entweder ominös, numinos oder nur lax.
Wie sieht denn das Grundleiden der Leute aus, fragte ich.
Die Prinzessin gähnte und zeigte kurz ihre wohlgeformte Zunge, sie schien sich zu langweilen.
Der Häberlein, sagte Spoerri, hat die Theorie, dass der Tunnel-Röhren-Effekt den Wunsch nach einer Total-Regression symbolisiert, die die Überlebenden post festum noch einmal erleben wollen; die eine Gruppe hat nach dem Blick ins Jenseits den Wunsch, fromm weiterzuleben, die andere will halt zurück – je nach der Todeserfahrung, die hat ja schon etwas Individuelles, sowenig sich die Leute auch lebfrisch unterscheiden mögen.
Der Kollege Häberlein trat zu uns, ein fetter kleiner Mann mit blauschwarzem Rasurschatten um die Lippen und gegeltem schwarzen Haar.
Die Prinzessin wandte sich ab und betrachtete einen Stich an der Wand – Absturz vom Matterhorn , eine sehr schöne, sorgsam ausgeführte Studie über abrupte Sterbemomente ohne Tunnel oder Röhre.
Grüezi, Spoerri, sagte Häberlein, wollt nur sagen, morgen kommt der Apparat, dann fang ich an; ich nehm mit den Meinen noch einen Apéro. Wünsch guten Abend.
Er ging zum Tisch mit den Todesanimierten, die da ernst saßen, verstrickt in ihre noch nicht ganz letalen Abgänge.
Ich bin, sagte Spoerri, immer begeistert über Häberleins Patientengut und -material; es enthält so viele Möglichkeiten, Herr Singram, so viel
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