Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)

Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)

Titel: Traurige Therapeuten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingomar von Kieseritzky
Vom Netzwerk:
Spoerri, und wie sich die Migräne fühle?
    Auch leidlich, sagte ich.
    Schön, sehr schön, das freut mich. Das wird bei Ihnen dauern. Aber nur eine lange Behandlung ist eine erfolgreiche Behandlung. Eine kleine Sauerstoff-Kur täte mir gut. Die Prinzessin sei ein anderer Casus; er tippe nach allen Symptomen auf eine Migraine accompagnée, die mit Sprachstörungen einhergehe.
    Ja, die Migräne, sagte Spoerri, ist eine Geißel, ein wahrer Hortus conclusus im cerebralen Gesamt-Geschehen; der Schmerz sei ein Refugium im Meer der uneindeutigen Zeichen; er stürzte ein Glas Champagner. Nehme an, er vertrug den Alkohol nicht so gut, weil ihn die Prinzessin so affizierte.
    Leider weiß ich nicht, sagte Spoerri nach einer Pause, ob sie mich versteht; sie schweigt, sie schweigt entrückt, nicht feindlich gegen die Umgebung, was ja verständlich wäre nach dem Prinzip Schweigen versus Weltenlärm. Ihr Schweigen hat etwas Göttliches.
    Das Schweigen, sagte ich, sei das gegengiebigste Gespräch.
    Reden Sie keinen Unsinn, sagte der Doc streng, sonst bekommen wir einen Migräne-Anfall, Hitzewallungen und Schweißausbrüche.
    Pardon, sagte ich, das war ein Zitat von Rilke.
    Du lieber Himmel, sagte Spoerri, ja dann! Was kann man von einem Zwangsneurotiker mit obsessiven Neurosen – zu denen nicht zuletzt das Schreiben von Gedichten gehört – anderes erwarten …, aber immerhin, als Patient hätte er sich hier gut gemacht … Ängste, Phobien, Schwindel und wahrscheinlich eine permanente Migräne, ähnlich einem Juckreiz in der Großhirn-Hemisphäre. Sie sollten Ihre Lektüre wechseln. Wo war ich, ja, das Schweigen.
    Meine Mutter, sagte ich, schwieg in ihren letzten Lebensjahren, als habe sie ein Gelübde abgelegt, inspiriert von einem französischen Autor namens Picard, der über Das Schweigen ein Werk verfasst hat.
    Unsinn, sagte Spoerri gereizt, Picard sei ein taubstummer Tiefseetaucher gewesen, ich möge doch nicht alles durcheinanderbringen, denn die Konfusion befördere meine Ausfälle.
    Die Tahina kam in einer Porzellanschüssel garniert mit kleinen Gurken.
    Die Prinzessin roch mit herrlich geweiteten Nüstern an der grau-gelben Masse, lehnte sich zurück und sagte deutlich: Merde alors, Shit, Mist, Dreck – und zum bestürzten Spoerri: Crétin! Moron! Donkey! Vieux tringleur!
    Danach zog sie sich zurück in ein sozusagen beredtes Schweigen.
    Auch wir schwiegen.
    Sie hat gesprochen, sagte Spoerri, sie hat ihr Schweigen gebrochen.
    Es scheint, sagte ich, dass sie sehr polyglott ist, vielleicht eine Intellektuelle oder ein internationales Callgirl.
    Spoerri bestellte eine Flasche Fendant.
    Ich machte ihn darauf aufmerksam, dass der Fendant aggressiv stimme. Mir egal, sagte er und schwieg. Am Nebentisch, Gartenseite, saß ein indischer Herr mit einem safranfarbenen Turban, der trübsinnig ein Glas Milch fixierte.
    Herr Singh aus Kalkutta, sagte Spoerri; er machte Geschäfte mit Kuhdung und/oder Guano; irgendwann ging ihm sein Karma abhanden, oder es war nicht mehr präsent oder meldete sich nicht mehr, aber ich verstehe nichts vom Buddhismus. Aber eines ist sicher – Herr Singh sei der beste und symptomreichste Migräniker, denn er je in einer Gruppe hatte.
    Karma, sagte ich, sei ein hinduistisches Konzept von Ursache und Wirkung – wer tugendhaft lebe, baue ein gutes Karma auf, wer sündhaft lebe, ein schlechtes, das gute Karma sei wichtig für die spirituelle Progression und eine qualitätvolle Reinkarnation.
    Gutes Karma, schlechtes Karma, sagte Spoerri, er solle erst einmal seine Laktose-Intoleranz in den Griff kriegen, dann regeneriere sich auch sein Karma-Dings.
    Der Fendant kam, Spoerri trank.
    Herr Singh, sagte er, habe ihm einmal seine Wunsch-Reinkarnation beschrieben – er wolle im nächsten Leben eine Kröte sein unter einem bemoosten Stein, in einer lieblichen Landschaft mit milden Temperaturen.
    Ich fand die Idee vernünftig; warum nicht.
    Ich glaube, sagte Spoerri nach einer kurzen ergiebigen Pause, Madame Hotep missbilligt meinen Bart, ja ich fürchte, sie findet ihn ekelhaft wie so viele Frauen, vielleicht leidet sie unter einer Pogonophobie; er werde sich noch vor der Abendtherapie rasieren.
    Die Phobie gegen Bärte sei verbreitet, sagte ich, ich kannte in Berlin eine Rottweilerhündin, die zuverlässig bärtige Männer biss.
    Soso, sagte Spoerri, tat sie das … Naja, vielleicht hatte sie recht.
    Ob Singh nur an Migräne leide, fragte ich.
    Die Erwiderung zeigte ein tiefes Verständnis für die Probleme

Weitere Kostenlose Bücher