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Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)

Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)

Titel: Traurige Therapeuten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingomar von Kieseritzky
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stumpfsinnigsten Kopf mitunter affizieren.
    Der geräumige Delsey nahm noch ein paar Büchlein auf, deren Abwesenheit niemanden störte. Da war Blooms Kampfschrift (1913) Der Hass auf die Zeit – oder die Mechanismen der Aggressionsabfuhr – und ein Sonderdruck aus Psychologische Rundschau , eine sehr anregende Arbeit über Liebe, Erotik & Sexualität , versehen mit inspirierten Diagrammen samt einem Anhang Über die natürlichen bipolaren Störungen zwischen den Geschlechtern meines väterlichen Freundes Müller-Suur, Göttingen. Dazu passte ein kleines Lederbändchen Kamasutra für Blinde , das ich einmal einer blinden Freundin in Basel geschenkt hatte; sie ertastete mit leicht geöffneten Lippen die erhabenen Zeichen mit den Fingerspitzen und sagte dann hin und wieder ‹O nein› oder ‹Das ist doch wohl nicht möglich›.
    Weil der sentimentale Wert gering war, legte ich es zu den anderen Präsenten.
    Andere Objekte dieser schönen Art legte ich dazu – ein Gesamtverzeichnis der Schriften Rudolf Steiners – 204 Seiten! sehr selten, kaum bestoßen, keine Stockflecken!
    Norman Vincent Peales Die Kraft des Positiven Denkens , ein blauer Band mit wespengelber Schrift, war zwar ein bisschen angebufft, aber für den Gebrauch ging’s hin.
    Für Frau Horak, die kluge Anita, hatte ich noch nichts Passendes. Sie las gern französische Theoretiker aus der fruchtbaren Ideenwiege Paris, leider nichts mehr im Haus; alles expediert.
    Also musste was mit Tieren her.
    In einem Karton stöberte ich den alten Paul Eipper auf, ein Büchlein mit dem Titel Tiere sehen dich an . Auf dem Titelblatt schaute ein Seidenäffchen traurig ins Objektiv.
    Nach langer Überlegung (der Kater Yorick hatte seine spezielle Exkursion immer noch nicht beendet) ergänzte ich meine Gaben durch eine Westentaschenpistole, eine Beretta im Kal. 6.35, ein schönes, nie benutztes, schwarz brüniertes und poliertes Ding mit einer unerheblichen Macke: der Schlitten funktionierte nur widerwillig. Potentiell war das Pistölchen – bei guten Nerven ohne Tremor, nüchtern, kaltblütig und ohne Zugluft – auf ca. zehn Schritt verhältnismäßig tödlich; leider hatte ich keine Munition, aber als Briefbeschwerer war er so gut wie eine der unbezahlbaren Paperweights von Armand.
    Ich war gerüstet, verschloss den Koffer, schrieb eine Nachricht an die Witwe Polenz, Untergeschoss: Kater entlaufen, bitte Obacht, abzugeben bei Arthur Singram IV. Etage.
    Die Polenz hatte vier Katzen, mit denen sich Yorick in seinem Zustand gut vertrüge – greise Damen, alle sterilisiert –, dann rief ich ein Taxi und fuhr zur Commerzbank, um den Scheck von Aram Schlitz, dem Gönner und Kunstliebhaber, einzuzahlen.

 
    80 Die Kontrolle der Vergangenheit ist eine für die aktuelle Gegenwart derart signifikante Angelegenheit, dass man sie keinem mangelhaften Gedächtnis überlassen sollte; früher hatte ich sogar ein eidetisches, das viele schöne, leider auch irreführende Bilder lieferte. Ich rief bei Dr. Spoerri an; wer sich meldete, war Frau Dr. Beata – Nachname entfallen.
    Die schöne Ärztin – auch sie hatte X-Beine wie das Berliner Originalmodell – saß vor ihrem Laptop und beobachtete ein Cluster statistischer Daten mit Zacken wie Fieberkurven.
    Wie war’s in Wien, fragte ich; alle Daten präsent, ihre Mutter war nicht mehr ganz richtig im Kopf.
    Sie fühle sich ausgezeichnet, sagte Beata, sei aber dementer denn je.
    Wie sich die kleine Schwäche denn äußere, fragte ich, an fremden Schäden immer interessiert.
    Die Mutter hatte wirklich in zwei Wochen Erstaunliches geleistet, alle Achtung.
    Setzen Sie sich, sagte sie. Spoerri hatte einen Autounfall in Arlesheim, einen Klapf, wie der Schweizer zu sagen pflegt.
    Hoffentlich nichts Ernstes, sagte ich.
    Gehirnerschütterung, sagte Bea unerschüttert.
    Guter Therapeut, sagte ich.
    Geht so, sagte Bea.
    Speditiv irgendwie, sagte ich.
    Aber wie, sagte Bea.
    Ich brauche da ein Mittel, sagte ich, liebe Beata –
    Ja, wer nicht, erwiderte sie abwesend, hören Sie zu – ich habe in Wien ein Protokoll über die Abenteuer von Mama geschrieben – noch vor der Flucht aus dem Hotel Wandl …
    Am 1. Mai brannte Mama – sie heißt Alma – beinahe die Kapuzinergruft ab, als sie an der Grabstätte von Ferdinand II., Kopfende, ein offenes Feuer machte und sich Würstchen am Spieß briet; sie wollte mal wieder ein Picknick wie in alten Zeiten; mit dem Attest von meinem Wiener Analytiker Eisendle löste ich sie aus.
    Am 4. Mai

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