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Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)

Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)

Titel: Traurige Therapeuten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingomar von Kieseritzky
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fragte ich. Wien wurde mir immer lieber. Nichts im Demel angestellt, nichts in der Hofburg, nichts in Schönbrunn? Vielleicht bei den Lipizzanern? Kein Brand im Dorotheum?
    Bea erwiderte, Alma sitze jetzt im Spital in der Obhut vom Dr. Eisendle, der ein milder Therapeut sei, verordnete er doch nichts anderes als Roten-Rüben-Kren, Tafelwasser und ein aggressionshemmendes Mittel namens Paxforte, eigenhändig von ihm in langen Labornächten kreiert.
    Ob sie wirklich glaube, fragte ich, dass ihre Mutter dement sei, ich hätte nach diesem Referat einen ganz anderen Eindruck, ja ich hielte Alma für absolut gesund, vielleicht ein wenig ungestüm, aber die Verwirrungen, wenn man sie schon interpretieren müsse, seien doch wunderbare Akte, um der Realität zu begegnen.
    Sie sind ja verrückt, sagte Bea, und sie wisse gar nicht, warum sie mir das alles erzählt habe.
    Nun ja, Menschen und Tiere fassten schon immer auf rätselhafte Weise Vertrauen zu mir.
    Sie stand auf, und ich nahm ihre X-Beine in Augenschein; ein schöner Eindruck am Abend.
    Was wollten Sie eigentlich, fragte sie.
    Ginsengwurzelextrakt, sagte ich, es helfe bei Gedächtnisausfällen. Aber die Geschichte mit Alma habe mich geheilt.
    Der Spoerri, sagte Bea, arbeite seit Jahren an einer Arznei für Gedächtnisregeneration; er habe eines erfunden – bislang noch ohne marktgängigen Namen –, das aus Ganglienzellen von Schafshirnen bestehe, er sei aber noch nicht dahintergekommen, wie man – ohne Klagen der Probanden – die Blut-Hirn-Schranke passieren könne.
    Danke nein, sagte ich fest. Die Erzählung über Alma habe mir alles gegeben, was ich brauche. Ich müsse jetzt noch ein wenig schreiben, vielleicht bis Mitternacht – eine wichtige Passage aus meiner Autobiographie –, dann könnten wir im Bécasse vielleicht noch einen Apéro nehmen.
    Sie waren, sagte sie an der gepolsterten Tür, sehr hilfreich für mich.
    Zuhören, sagte ich, liebste Bea, sei die beste Therapie. Wenn sie ihrer Frau Mama schreibe, solle sie bitte Grüße von mir ausrichten und meine Bewunderung für ihre schöne, wenn auch etwas planlose Resistenz.
    Sie sind, sagte die Dame Bea, ein verrückter Typ.
    Da hätten Sie mich mal früher erleben müssen, sagte ich mit Wehmut. Das war einmal! In actu bin ich freundlich, liebenswürdig, heiter, gutmütig, freundlich, zuvorkommend, höflich, zuverlässig …
    Sie habe zu tun, sagte Bea (Nachname immer noch nicht präsent), aber ich fuhr fort und sagte: Bescheiden und fleißig. C’est tout, ergo haben Sie recht – ich bin ein bisschen verrückt. Apropos Verrücktheit, das ist als Begriff zu allgemein, Sie sollten triftigere Begriffe verwenden, ich persönlich bevorzugte den Terminus ‹Alienation›, unter Betroffenen auch als ‹Entfremdung› bekannt und beliebt; was an dieser Ganglienzellengeschichte dran sei? Immerhin eine hochinteressante Idee und vielleicht ein Labsal für gehirndämmerungsaktive Patienten in aller Welt …
    Nichts sei dran, sagte Bea wütend, sie sah entzückend aus, nichts als eine windige Idee Dr. Spoerris zwischen Galen und Cagliostro, angesiedelt im fahlen Limbus der larvierten Scharlatanerie, nichts als ein Flop, nichts anderes als ein teures Placebo, aber enorm erfolgreich.
    Schon Mama appliziert, fragte ich.
    Sicher doch, sagte Bea, die springe auf alles, was ihr Heilpraktiker verabreichten; man könne ihr auch Zuckerwasser geben.
    Es richte, fragte ich, doch keinen Schaden an?
    Natürlich nicht, sagte Bea, sonst hätte ich ja wohl nicht … Sie seufzte – ein schöner Anblick, vor allem im Profil.
    Und Ganglienzellen, sagte ich, seien nicht enthalten?
    Keine Spur, sagte Bea, die würden sowieso, wie viele Neurozyten, aus dem Rückenmark gewonnen; sie wisse da aber nicht Bescheid.
    Ja dann, sagte ich, schade; wogegen der chemische Mix denn helfe? Wie ich erfuhr, half das neue Medikament gegen ausnahmslos alle Schäden, unter denen das Individuum leiden kann – von der Abasie (die völlige Unfähigkeit zu gehen, ein leider seltenes Syndrom) bis zur Zyste – häufig und nicht angenehm, also durchaus behandlungswürdig.
    Bea konnte sich schwer von ihrem Mamachen trennen. Warum, Arthur, fragte sie, stellt sie solche Sachen an?
    Weil sie nicht dement ist, sagte ich, sie ist ein freier Geist.
    Demenz und Schwäche, also alterspezifischer Marasmus, sagte die Doktorin, könne man leichter ertragen und gingen, abgesehen von der Pflege im Haus, nicht so in die Kosten.
    Bea, sagte ich zum Abschied, hören Sie –

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