Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)
flambierte sie im Sacher einen Palatschinken mit Petroleum; eine geistesgegenwärtige japanische Gruppe photographierte das Tableau und löschte dann den Palatschinken, den Tisch und Mama mit einem Tischtuch.
Heiliger Strohsack, was für eine muntere alte Dame.
Ab da, sagte Beata, ließ ich sie nicht mehr aus den Augen … Aber Alma ist vital … und sie entwickelt bei ihren Exkursionen Bärenkräfte …
Apropos Exkursion, sagte ich, ich brauche dringend ein –
Ja schon, sagte Bea, später …
Spaziergang am Graben – ich geb jetzt die Blödheiten nur noch kursorisch wieder –, sie tritt ein bekanntes Mitglied der NPÖ in die Testikel; sie hatte Bergstiefel an. Mehr Trittsicherheit, sagte sie beim Verhör. Nach zwei Tagen hatte ich sie wieder draußen. So ein Attest wirkt viel bei österreichischen Behörden … Zwei Tage konnte ich sie mit Stroh-Rum im Zaum halten; tat uns allen wohl.
8. Mai – Exkursion im Fiaker, Einstieg am Stephansdom, ging alles gut; dann schmiss sie ab Heldenplatz ordinäre Mohrenköpfe auf Passanten und schrie danach jedes Mal: Vivat Gott, sie ist ja Katholikin, holte Kopf nach Kopf aus dem Plastikbeutel und zeigte nach jedem Wurf den Stinkefinger.
Auf dem Polizeirevier verhörte sie ein sehr freundlicher Beamter. Der sagte ‹des war amal fällig, hätt i gern selbst gmacht, geht aber nicht, wegen des Tourismus, gnä’ Frau.› Nach drei Stunden war sie wieder in Freiheit wegen der von Eisendle attestierten Demenz.
Liebe Bea, fragte ich, während meine Gedanken sich lichteten, war Ihre Frau Mutter heiter bei ihren Aktionen …
Heiter sei gar kein Ausdruck, sagte Beata, die alte Kuh war selten in ihrem Leben so vergnügt. Sie ließ sich nicht im Haus halten. Wir wohnen in der Schönlaterngasse, von da kann man zu Fuß leider alle zentralen Punkte erreichen.
Welche, fragte ich, haben Sie noch erreicht?
Beinahe alle, sagte Bea kummervoll; gingen wir aus, da hat sie sich schön gemacht, nur die Bergstiefel durfte sie nicht mehr anziehen; sie nahm stattdessen ihre High Heels von Bruno Magli, schöne Schuhe, vierfarben.
Nachmittag, Griensteidl. Alma behauptet Harndrang. Gebe nach. Will keine Begleitung. Die Tasche hatte ich vorher durchsucht. Keine Streichhölzer, kein Benzin, kein Feuerzeug.
Ober tuscheln am Eingang der Toilette – eine fette Toilettenfrau schnattert, Aufruhr.
Was musste man entdecken? Die Mama hatte alle ihre Lippenstifte in einem Handtaschenfach mitgenommen – sie bevorzugte Chanel – und die Spiegel und Wände, Türen und Konsolen, sogar die schwarzen Kacheln der Damentoilette mit obszönen Graffiti verziert …
Wie obszön, fragte ich.
Eine Generalabrechnung war’s, sagte Bea seufzend, mit ihren alten Kerlen, Männern, Ehegatten und Liebhabern … immer auf ihre pathologische Weise konzis und luzid; und die Abrechnung da auf der Damentoilette umfasste die ganze Genealogie …
Sie schluchzte dezent durch die Nase.
Ich reichte ihr das Seidentuch, das ich immer beim Schreiben trug; auf diese Weise versäumten wir einen prachtvollen Sonnenuntergang im Park.
An der schönen Literatur interessiert, bat ich um Textbeispiele. Bea schnüffelte und schwieg.
Bitte, sagte ich streng, es muss heraus; nichts entlaste die Erinnerung mehr als die offenbarte Wahrheit. Ein Satz, den ich noch präsent hatte, entweder von Bloch oder von Bollnow.
Sie reichte mir ein Blatt im Din-A4-Format und ich las –
Poldi, Schlepphoden.
Nowak, dein Bart stank nach Käse!
Gustavo – dein Kind wird eine Hure!
Gustavo war, sagte Bea, mein leiblicher Vater, ein Rinderzüchter, den eine Stampede bei Gewitter in Argentinien erwischte.
Oi, oi, oi, sagte ich, da habe sie aber eine schlimme Mutter – und ich trocknete zärtlich ihre Tränen. Man kam sich näher.
Noch ein Fiasko mit Mama, fragte ich.
Kärntner Straße, sagte Bea gefasst. Spaziergang, Mama brav, gefüttert mit vier Valium. Alma sieht Mann, der einen Dackel mit Leine verprügelt; sie holt aus dem Staubmantel von Hechter eine kleine Dose – Pfefferspray –, reißt sich von der Leine, Pardon, von meiner Hand und besprüht Mann aus einer Distanz von 20 cm; hohe Arztkosten, weil Mama mit einem Dolch, dem alten Briefbeschwerer von Gustavo, Gott hab ihn selig, den Kerl auch am Hals blessierte.
Was für eine Frau, sagte ich. Meine Mutter dagegen, war auf die gewöhnlichste Weise dement – Gedächtnisausfälle und falsche Erinnerungen.
Seien Sie froh, sagte Bea, seien Sie bloß froh.
Na, und, wie ging’s weiter?,
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