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Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)

Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)

Titel: Traurige Therapeuten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingomar von Kieseritzky
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ihren Busen.
    Curtius, sagte ich, wir kamen von ihm ab.
    Scheiße auch, sagte sie, pardon, ich wollte natürlich sagen: Merde! Das ist eine traurige Geschichte; dazu muss ich eine rauchen. Sie holte aus der Nebentasche ihres Priestergewandes eine Schachtel Gitanes. Schmecken wie Arschhaare, aber es muss sein … Rauchen Sie, Nikotin macht Esprit.
    Gern, sagte ich und nahm ihre Zigarette, die schon brannte und stank.
    Eine allzu intime Geste, sagte Anita, sie steht nur Männern zu, die meine Flechte goutierten – Sie nicht, Arthur, Sie nicht. – Attention s’il vous plaît: Anruf von einem Zirkus in Zwickau – das ist Balkan, geistloses Land, Provinz, horrible … Wir fahren à trois, ich, der Curtius und mein alter Borst.
    Eine kompetente Gruppe, sagte ich und hustete.
    Gitanes inhaliert man nicht, sagte Anita indigniert.
    Tant mieux, sagte ich brav.
    Écoutez, sagte Frau Horak, Zirkus erreicht, sehr pauvre. Was war los – der Löwe krank, hieß Pluto.
    Der Gebrauch des Imperfekts ließ mich Schlimmes ahnen.
    Interruptieren Sie nicht immer, sagte Anita – der Löwe lag in einem Käfig, très petit, auf der Seite, und Dompteur hatte Betäubungspfeil in Lende appliziert.
    Borst fragte den Direktor: Woran leidet der König der Wüste.
    Ruhe, Borst, sagt Curtius, ich werde explorieren.
    Und er explorierte im Käfig, kniete vor dem Tier, das zu schlafen schien, es aber nicht tat complet. Erkenntnis später, als es zu spät war.
    Der arme Löwe, sagte ich.
    Shut up, sagte Curtius, ich sagte: Das Tier hat Funktionsstörung, man muss das Geflecht der Gesamtstörungen durchdringen, dann kommt man zum Stör-Herd.
    Der Löwe, sagte mein blöder Borst, sei ein Greis und das Fell mies.
    Berberlöwen sehen in der Blüte der späten Jahre so aus, sagte der Direktor.
    Ich referiere nur, Arthur, ich interpretiere nicht. Ein guter Therapeut muss auch schweigen, wie der Philosoph Precourt zu sagen pflegte.
    Ruhe, sagte dann Curtius, wie es mit seinen circensischen Leistungen bestellt sei.
    Sehr gut, sagte der Dompteur, bei der letzten Vorstellung schritt Pluto durch einen Reifen und apportierte dabei ein Sträußchen Vergissmeinnicht; danach sei dann – noch in der Manege – der Kollaps passiert.
    Der arme Bursche, sagte ich, Raubtiere im Zirkus sollten verboten werden.
    Der Ansicht, erwiderte Frau Horak, sei Curtius schon immer gewesen; er liebte Löwen. Enfin – dieses Tableau: Curtius kroch voller Emphase und Empathie auf den Löwen, um unser X14 zu spritzen, da richtete sich der Wüstenkönig etwas auf, hob seinen Kopf und gab dem armen Curtius mit der linken Pfotentatze oder Tatzenpfote oder Pfote allein oder Tatze seulement – eine Ohrfeige!
    Danach war Curtius nicht mehr der Alte.
    Wie ging die Geschichte aus, fragte ich, war der Löwe wohlauf?
    Mais oui, sagte Frau Horak, aber nicht Curtius. Seit dieser Löwenkalamität hat er sich sehr verändert … Sie werden sehen. Im Moment darf man ihn nicht stören … er schreibt an seinem polaren Roman.
    Ob er denn noch therapiere nach allen Regeln der Kunst, fragte ich.
    Non, sagte Frau Horak, er wird nie wieder ein Tier berühren … er ist in Angst und in Ängsten; in diese Gravitation ist er begriffslos geraten …, er fürchtet sich vor allem und jedem …; als der unsensible Borst ihm einmal eine taxidermierte Katze zeigte, stürzte er sich aus dem Fenster, gottlob: Wir haben ja Parterre.

 
    82 Kann man Curtius sehen, fragte ich, einen unverbindlichen Blick auf ihn werfen.
    Frau Horak lächelte sanft; nur dann, wenn Sie sich verkleiden, sagte sie, mit Ski-Mütze (ein sehr buntes Ding aus Wolle, das sie mir reichte) und einer dunklen Schnee-Brille; er schreibe ja an seinem polaren Stück …
    Was, fragte ich, ist ein polares Stück oder ein bipolares; Anita, woran leidet denn unser armer Curtius … welche Störherde liegen vor?
    Signifikant, sagte die Horak, sei eine durch den Tatzenhieb erzeugte oder hervorgerufene Paranoia mit einem Schuss Verfolgungswahn.
    Welche Therapie, fragte ich streng.
    Keine ganzheitliche, sagte die Therapeutin, das wäre für seinen Zustand zu früh; Curtius müsse Menschenaufläufe, Lärm, den Umgang mit Katzen und normalen Menschen meiden, er dürfe nichts Ungekochtes essen oder Früchte zu sich nehmen, die in die Höhe wachsen.
    Ich sah mit Achtung und Vergnügen, dass Anita ihre Therapien differenziert hatte.
    Respekt, sagte ich, da könne man ja nur noch gesund sein.
    Sagen Sie nicht einen solchen pompös intrikaten Scheiß, Arthur,

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