Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Traveblut

Traveblut

Titel: Traveblut
Autoren: Jobst Schlennstedt
Vom Netzwerk:
seinen Busch zurückgehen.«
    Es war nur ein kurzer Moment gewesen, den Andresen zögerte. Im Nachhinein war er froh, dass sein Verstand die Oberhand behalten hatte. Andernfalls hätte ihm womöglich ein Disziplinarverfahren gedroht. Immerhin hatte er den Mann am Kragen gepackt und an die Treppenhauswand gedrängt. Angst hatte sich in dessen Gesicht abgezeichnet, bis Andresen schließlich von ihm abgelassen hatte.

26

    Was war er doch nur für ein erbärmlicher kleiner Wurm. Wie er da lag, ungepflegt, verwahrlost und längst nicht mehr das hübsche Kind, das er einmal gewesen war. Er hatte sein Leben selbst verpfuscht, er brauchte jetzt bloß nicht so zu tun, als wäre alles nur ihre Schuld gewesen.
    Sie hatte Glück gehabt, als sie in den frühen Morgenstunden in seine Wohnung eingedrungen war. Ursprünglich hatte sie geplant, dem Ganzen sofort ein Ende zu bereiten. Ihn einfach zu beseitigen, ein für alle Mal. Doch dann hatte sie ihn reglos auf dem Wohnzimmerboden gefunden. Im ersten Moment hatte sie geglaubt, er wäre bereits tot. Dann allerdings hatte sie inmitten des Chaos die leere Flasche Absinth gesehen und ihren Plan geändert. Plötzlich hatte er ihr leidgetan. Und dann mit einem Mal waren die Gefühle von damals wieder in ihr hochgestiegen. All die Jahre hatten sie sich im Verborgenen gehalten, sie hatte sogar angefangen zu glauben, es wäre nur eine einmalige Ausnahme gewesen. Ein dunkles Kapitel ihres Lebens. Doch jetzt kam alles wieder.
    Während sie ihn da auf dem Boden liegend betrachtete, hatte sie plötzlich wieder die Lust verspürt, es noch einmal zu tun. Vielleicht konnte sie ein letztes Mal zärtlich zu ihm sein. Und er zu ihr.
    Aber nicht hier, rief sie sich zur Ordnung. Das war nicht der richtige Ort dafür. Sie ekelte sich vor dem Chaos und Dreck in seiner Wohnung.
    Also versuchte sie, ihn wachzumachen. Schüttelte ihn. Schlug und trat ihn, doch er zeigte keinerlei Reaktion. Es war, als befände er sich im Koma. Aber sie wollte ihn bei sich zu Hause haben, ehe sie den Schlussstrich unter das Ganze zog. Nur wie sollte sie ihn unbemerkt hier herausschaffen?
    Sie verließ die Wohnung noch einmal und parkte ihr Auto direkt vor der Haustür. Dann wartete sie, bis die Luft rein war, und zog Jimmy so vorsichtig wie möglich an den Armen aus der Wohnung und die Treppen ins Erdgeschoss hinunter. Ein viel zu hohes Risiko, aber sie war sich sicher, dass niemand sie gesehen hatte. Zumindest war ihr im Treppenhaus niemand begegnet.
    Jimmy zeigte keinerlei Regung, obwohl sein Körper immer wieder auf die Stufen aufschlug. Sie zerrte ihn auf die Rückbank ihres Golfs und fuhr davon. Zum Glück war es noch dunkel. Das kam ihr zugute, als sie vor ihrem Haus hielt, um ihn in die Wohnung hineinzuhieven.
    Jetzt lag er schon seit Stunden auf ihrer Couch, immer noch voll bis oben hin mit Alkohol. An den Armen und Beinen hatte er Hämatome und Abschürfungen. Dennoch war da dieses Gefühl, das sie schon damals empfunden hatte. Sie konnte sich einfach nicht erklären, was es war, das sie so sehr anzog. Er hatte etwas Magisches an sich. Seine kaffeebraune Haut, die blauen Augen, dieses knabenhafte Gesicht, das trotz allem, was geschehen war, so unschuldig aussah. Sie musste es einfach tun. Ob er wollte oder nicht. Danach würde er ohnehin für immer von ihr gehen.
    Sie schleifte ihn durch die Wohnung bis ins Badezimmer und legte ihn der Länge nach vor die Wanne. Vorsichtig begann sie seine Kleidung auszuziehen. Sie rümpfte die Nase, als sie seine dreckige Unterhose auszog, und musste sich überwinden, seine übel riechenden Socken anzufassen. Schließlich zog sie sein T-Shirt aus und stemmte ihn hoch. Unter größter Anstrengung wuchtete sie ihn in die halb volle Badewanne. Ein Glück, dass er schmächtig gebaut war.
    Noch einmal ging sie zurück ins Wohnzimmer, um ihre Waffe zu holen. Vorsicht war geboten, daran musste sie sich ständig erinnern. Jimmy konnte schließlich jeden Augenblick wach werden.
    Mit einem Mal überkam sie ein seltsamer Gedanke. Was, wenn er doch nicht mehr lebte? Sie beugte sich zu ihm herunter und legte ihren Kopf auf seine Brust. Der beißende Schweißgeruch unter seinen Achseln ließ sie zurückfahren. Aber sein Herzschlag war da, das konnte sie deutlich hören.
    Erleichtert drehte sie das Wasser ab und nahm einen Schwamm vom Rand der Badewanne. Mit dem linken Arm versuchte sie, seinen Körper zu stützen. Dann begann sie, ihn einzuseifen. Erst langsam und dann immer forscher. Unter den
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher