Traveler - das Finale
sie. »Ich habe nicht viel Zeit, aber für einen Kaffee wird es reichen.«
Boone folgte seiner Frau aus dem Haus und in den nächsten Coffeeshop, dessen Tresenbedienung sich Muscheln in die Zöpfe gesteckt hatte. Sie bestellten, nahmen ihre Pappbecher mit hinaus und setzten sich auf die kleine Veranda neben einem Parkplatz.
»Was führt dich her, Nathan? Willst du endlich die Scheidung?«
»Nein. Es sei denn, du willst es so. Ich war in Los Angeles und dachte mir, ich fahre die Küste rauf und besuche dich.«
»Über dich weiß ich nur eins, und das ganz sicher. Du tust nichts ohne Grund.«
Soll ich ihr von Michael Corrigan erzählen? , dachte Boone. Er war sich nicht sicher. Das Problem bei Unterhaltungen war, dass der andere sich meistens nicht an den ihm zugedachten Text hielt. »Wie geht es dir, Ruth? Gibt es etwas Neues?«
»Letztes Jahr habe ich eine Gehaltserhöhung bekommen. Vor acht Monaten bin ich zu schnell gefahren und erwischt worden. Aber vermutlich weißt du das alles längst.«
Boone widersprach ihr nicht. Seit er der Bruderschaft beigetreten war, ließ er sich Ruths monatliche Verbindungsnachweise schicken. Die Telefondaten wurden mit anderen Informationen abgeglichen, sobald sie mit einer bestimmten Person öfter als drei Mal in sechs Tagen sprach. Darüber hinaus behielt das Norm-All-Programm Ruths Kreditkartengebrauch im Auge und verglich ihren Alkohol- und Tablettenkonsum mit der Regionalnorm.
»Ich bin nicht gekommen, um über die Tatsachen deines Lebens zu sprechen. Ich wollte einfach nur wissen, wie es dir geht.«
»Mir geht es gut, Nathan. Ich habe neue Freunde. Ich interessiere mich für Ornithologie. Ich versuche, ein erfülltes Leben zu leben.«
»Das klingt schön.«
»Was uns und den anderen Eltern zugestoßen ist, lässt sich mit einem Flugzeugabsturz oder einem Autounfall vergleichen. Zu manchen aus der Selbsthilfegruppe habe ich bis heute Kontakt. Die meisten können wieder in die Zukunft schauen, aber wir alle wurden zutiefst verletzt. Wir stehen morgens auf, gehen zur Arbeit, kommen wieder nach Hause, kochen das Essen – aber die Wunde wird nie ganz verheilen.«
»Ich war nicht verletzt«, sagte Boone. »Es hat mich verändert . Endlich sehe ich die Welt, wie sie ist.«
»Man sollte die Vergangenheit akzeptieren und weiterleben.«
»Ich lebe weiter«, sagte Boone. »Und ich werde dafür sorgen, dass etwas Ähnliches nie wieder passieren kann.«
Ruth berührte Boones Hand, zog sich aber zurück, als er zusammenzuckte. »Ich weiß ja nicht, warum du bei der Evergreen Foundation bist, aber dort wirst du nicht finden, wonach du suchst.«
»Und das wäre?«
»Das weißt du doch …«
»Nein, das weiß ich nicht!« Plötzlich bemerkte Boone, dass er zu schreien angefangen hatte. Ein junger Mann warf ihnen einen schiefen Blick zu, bevor er den Coffeeshop betrat.
»Du willst Jennifer zurückhaben. Unseren Engel. Unser geliebtes, kleines Mädchen.«
Boone stand auf, holte tief Luft und fand seine Fassung wieder. »War nett, dich zu sehen. Übrigens, du bist immer noch die Begünstigte meiner Lebensversicherung. Alles läuft auf deinen Namen.«
Ruth kramte in ihrer Handtasche, holte ein gebrauchtes Taschentuch heraus und putzte sich die Nase. »Ich will dein Geld nicht.«
»Dann kannst du es ja verschenken«, sagte Boone und marschierte zum Auto zurück.
Als junger Mann Mitte zwanzig hatte er auf einer Insel vor North Carolina an einem Aufklärungscamp der Army teilgenommen. Am Ende des Trainings mussten die Soldaten mit einer Schlinge eine Wildsau fangen, das kreischende Tier mit dem Kampfmesser abstechen und an Ort und Stelle zerlegen. Es war nur eine Probe, ein weiterer Versuch, den Soldaten zu zeigen, dass alles zu schaffen war. Dreißig Jahre später hatte sich nichts verändert. Wieder einmal musste er seine Stärke und Unverwundbarkeit unter Beweis stellen.
Boone tippte eine Adresse ins Navigationsgerät ein, was sich aber als überflüssig erwies. Sobald er La Cumbre Road verließ, erinnerte er sich an den Weg. Gegen fünf Uhr nachmittags hatte er sein Ziel erreicht. Der Unterricht war seit Stunden zu Ende, und auf dem Parkplatz standen nur noch wenige Autos.
Die Valley Elementary School war gerade mal vierzig Jahre alt, dennoch wirkte das Gebäude billig und baufällig. Jede der sechs Klassenstufen war in einem eigenen Backsteinbau mit Teerdach untergebracht. Überdachte Fußwege verbanden
die Gebäude. Wohin man auch sah, standen Blumenkübel mit
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