Traveler - das Finale
Efeu und spitzschnabeligen, orange leuchtenden Strelizien.
Boone schlenderte an einem Klassenzimmer vorbei, in dessen Fenstern bunte Regenbogenbilder hingen. Bei manchen Regenbogen schossen die Farben wild durcheinander über die Linien hinaus, bei anderen waren die Streifen säuberlich voneinander getrennt.
Jennifer hatte Regenbogen – und auch alles andere – mit wilden Kurven und Bögen gemalt. Ihre Kühe waren rot, die Pferde blau. Malte sie ihren Vater, verwandelte Boone sich in ein Strichmännchen mit schiefer Brille und breitem Lachen.
Die Kinder aßen in einem zentral gelegenen, rechteckigen Kantinengebäude zu Mittag. Auf dem Boden lag ein verloren gegangener Pullover, und irgendjemand hatte seine Einhorn-Trinkflasche vergessen, die einsam und traurig auf einem Pausentisch stand. Dort hatte sie immer gesessen. Hier waren sie und die anderen gestorben. Es gab keine Gedenktafel und kein Denkmal, die an das Ereignis erinnert hätten.
Boone war bereit, seinen Mut und seine Härte zu beweisen, aber sein Körper ließ ihn im Stich. Er konnte sich nicht mehr bewegen, bekam keine Luft mehr. Es war, als wäre sein Kopf explodiert, als hätte sich der verzweifelte Aufschrei voll Kummer und Schmerz endlich einen Weg gebahnt.
ACHTUNDDREISSIG
M aya und Gabriel standen in der Aula der Playa-Vista-Grundschule und sahen zu, wie einer Klasse von Achtjährigen der Schutzengel-Chip implantiert wurde.
Auf der Bühne hatte man den Behandlungsbereich eingerichtet. Stellwände erlaubten keinen direkten Blick hinauf, deswegen ging Maya bis ans hintere Saalende und lehnte sich an die Wand. Zunächst injizierte eine Krankenschwester ein örtliches Betäubungsmittel in den rechten Unterarm des Kindes. Wenn die Haut des Kindes taub war, wurde es von einer zweiten Schwester zum Arzt geführt, der ein silbernes, einem Zahnarztbohrer ähnliches Instrument in der Hand hielt. Mittels Druckluft wurde der RFID-Chip unter die Haut des Kindes geschossen, anschließend wurde die Wunde verbunden.
Jedes Kind bekam einen Button geschenkt, auf dem stand: ICH HABE EINEN SCHUTZENGEL! Ein paar Eltern saßen schweigend herum, während eine Hilfskraft die Kinder zurück in die Klasse brachte. Maya fragte sich, was die Mütter ihren Kindern erzählt hatten. Einige der Achtjährigen sahen verängstigt aus, und ein Junge weinte. Sie wussten nur, dass sie die Treppe zur Bühne hinaufsteigen und sich einen schmerzhaften Stich abholen sollten. Aber die eigentliche Botschaft wurde ihnen durch die sachliche Art der Erwachsenen vermittelt: Wir wissen am besten, was gut für dich ist. Alle tun es. Du hast keine Wahl.
Maya stellte sich zu Gabriel, der hinter den Sitzreihen stand. »Genug gesehen?«, fragte sie.
»Ja. Die sind gut organisiert. Josetta sagt, der Implantierungsplan habe drei Tage nach Michaels Rede vorgelegen.«
Maya nickte. »Die Evergreen Foundation benutzt Protective Link seit Jahren, um ihre Angestellten zu überwachen. Der Schutzengel ist der gleiche Chip mit anderem Namen.«
Sie verließen die Aula und traten auf die Straße. Josetta Fraser, Vickis Mutter, wartete in einem Auto, auf dessen Stoßstange das Bild von Isaac T. Jones klebte. Josetta war eine beleibte Frau mit breitem Gesicht, die nicht ein Mal gelacht hatte, seit sie Maya und Gabriel vom Flughafen abgeholt hatte. »Haben Sie gesehen, wie sie es machen?«, fragte sie, als ihre Gäste ins Auto stiegen.
»Alle zwei Minuten ein Kind.«
»Und das hier ist nur eine von vielen Grundschulen«, sagte Josetta. »In den Kliniken und Kirchen sind sie ebenfalls unterwegs.«
»In Ihrer Kirche auch?«, fragte Maya.
»Reverend Morganfield hat dagegen gepredigt. Er hat gesagt, Isaac Jones habe uns vor dem Kainsmal gewarnt. Aber die Entscheidung liegt bei den Eltern, und die meisten werden sich an den Plan halten. Manche Leute werden richtig wütend, wenn ein Kind keinen Verband an der Hand trägt. Als wollten sie sagen: ›Was ist mit dir los? Bist du keine gute Mutter? Willst du diesen Killer nicht aufhalten?‹« Josetta seufzte laut. »Man könnte mit ihnen diskutieren, aber es hat keinen Sinn. Der Prophet hat gesagt: ›Vergeude nicht deine Zeit damit, für die Schwerhörigen zu singen.‹«
Sie fuhren Richtung Norden und passierten eine Stelle, an der rechts und links vom Highway massive Betonwände in die Höhe ragten. Maya überlegte sich, dass man die Blöcke aus Lärmschutzgründen hier aufgestellt hatte, trotzdem fühlte sie sich wie eine Gefangene in einem langen
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